Lehrprinzipien
und Lehrverfahren für die
Grammatikvermittlung
am Beispiel der Fremdsprache
Französisch
– Vorschläge für eine
lernwissenschaftliche
Begründung1
Klaus
Hartenstein (Hamburg)
Abstract
Der
vorliegende Beitrag behandelt Fragen der Grammatikvermittlung des
Französischen als Fremdsprache. Aus der Perspektive einer
lernwissenschaftlich fundierten, empirische Befunde zum
Fremdsprachenerwerb berücksichtigenden Fremdsprachendidaktik
werden relevante Lehrprinzipien und auf diesen beruhende
Lehrverfahren vorgestellt. Letztere werden jeweils durch
Beispiele illustriert.
1
Einleitende Bemerkungen
Der
vorliegende Beitrag führt an Hand ausgewählter Bereiche in
verschiedene Lehroptionen für die Grammatikvermittlung des
Französischen als Fremdsprache (für deutsche Lerner) ein.
Zunächst werden grammatische Sprachmittel aus (psycho)linguistischer
Sicht, danach mit kurzem Blick auf den aktuellen Kenntnisstand
der Fremdsprachenforschung unter lernwissenschaftlichen Aspekten
charakterisiert. Es folgen Vermittlungsvorschläge auf der Ebene
von Lehrprinzipien und Lehrverfahren. Es
folgen Vermittlungsvorschläge auf der Ebene von Lehrprinzipien
und Lehrverfahren. Der Beitrag folgt in seinem allgemeinen Zuschnitt
somit dem durch die Sprachlehr- und -lernforschung formulierten
Kredo, dass derjenige, der Fremdsprachen lehren
will, zunächst wissen muss, wie sie gelernt
werden (Edmondson & House 2006).
2
Grammatikvermittlung
2.1
(Psycho)Linguistische Aspekte des Lernstoffs Grammatik
Mit
Grammatik
verbindet die Fremdsprachenforschung verschiedene Konzepte
(Kleineidam 1986: 9ff.; Helbig 1992; Edmondson 2002: 53f.; Gnutzmann
2010: 112; Metzler Lexikon Sprache 2010: 247f., 420, 774). Verstanden
als linguistisch
fassbares Subsystem sprachlicher Mittel und unter Vernachlässigung
von Übergangserscheinungen, macht Grammatik
die regulären Form-Funktionsbeziehungen aus, die wortart- bzw.
konstruktionsbezogen zumeist obligatorisch ausgedrückt werden
müssen.2
Hierzu zählt u.a. das morphosyntaktische Phänomen der Kongruenz von
Subjekt und Prädikat in Numerus bzw. zwischen dem Subjekt bzw.
weiteren Ergänzungen und seinen attributiven Begleitern zusätzlich
in Genus.
Beispiele:
Ma
famille s’est retrouvée dans une situation bien embarrassante.
Sur
cette vieille photo tu vois toute ma famille regroupée.
Grammatik
kann somit als virtuelle
Größe aufgefasst werden, d.h. als das der gegebenen Sprache
innewohnende System,
bzw. als dessen explizite
Beschreibung, z.B.
in Form eines Grammatikbuchs für sprachdidaktische, normative oder
wissenschaftliche Zwecke. Geht man davon aus, dass jeder Sprecher
über dieses virtuelle System (zumindest in seinen Kernkomponenten)
verfügt, um erfolgreich zu kommunizieren, erhält Grammatik eine
psycholinguistische
Dimension, diejenige des bereichsspezifischen Sprachwissens,
verstanden als mentale
(internalisierte)
Grammatik des
individuellen Sprechers. L1 Sprecher verfügen über dieses Wissen
fast durchweg nur
unbewusst, L2 Lerner, - je nach Erwerbsart durch explizite oder
implizite Lehre - bewusst oder
unbewusst. Berücksichtigt man diese begrifflichen
Unterscheidungen, gelangt man zu einer allgemeinen Definition von
fremdsprachlicher Grammatiklehre.
Sie ist der Versuch, den Lerner durch geeignete
Vermittlungsbemühungen dazu zu befähigen, eine mentale, d.h.
lernersprachliche L2 Grammatik als Teil seiner L2
Kompetenz aufzubauen, was
einen unter Berücksichtigung von unterrichtlichen Faktoren
festgelegten Ausschnitt des grammatischen Systems der L2
möglichst normgerecht widerspiegelt, um dieses Wissen für
sprachliches Handeln in der L2 anwenden zu können.
2.2
Erwerb von Grammatik
In
Anlehnung an das Phasenmodell für das L2 Wortschatzlernen in Börner
(2000: 29ff.) lässt sich das L2 Grammatiklernen über vier Schritte
konzeptualisieren:
I. Bewusste
Wahrnehmung
Der
Lerner nimmt ein neues grammatisches Phänomen zunächst als L2
Ausdruck
wahr, indem er es mit seinem lernersprachlichen Wissen abgleicht
und eine Diskrepanz feststellt. L2 Input
wird auf diese Weise zu L2 Intake
- als Voraussetzung für die weitere kognitive Verarbeitung.
II. Bildung
von analysiertem bzw. ganzheitlichem Wissen
Es
erfolgt entweder eine bewusste
Kognitivierung,
d.h. der Lerner erfährt, erschließt oder schlägt die
Grammatikregel(n) nach, die die Form-Funktionsbeziehungen im
fokussierten Phänomen erklären, oder er eignet sich die
grammatische Erscheinung als Routine
an, d.h. als unanalysiertes,
ganzheitliches
und somit unbewusstes
Wissen;
III. Integration
in das lernersprachliche Wissen
Der
Lerner speichert die neue grammatische Erscheinung als Schema für
die Sprachproduktion und -rezeption ab und restrukturiert dabei
gegebenenfalls bereits vorhandenes L2 Wissen.
IV. Automatisierung
Der
Lerner wendet das neue L2 Grammatikphänomen in der Kommunikation
an und erreicht dadurch, dass dessen Abruf
zunehmend sicherer und schneller wird.
Mit
Blick auf Phase III. ist es wichtig festzuhalten, dass beide
Speicherungsarten lernersprachlichen Wissens prinzipiell ineinander
überführbar sind. So können z.B. routinisierte Sätze des Typs Je
suis monté sur le vélo und
Je suis descendu dans la rue bzw.
J’ai monté le piano au
premier étage und
J’ai descendu le vin à la cave verschiedene
Transferprozesse unterstützen. Sie können z.B. als Ausgangspunkt
(Musterkonstruktionen) für die Sprachproduktion bzw.
Sprachrezeption fungieren, indem der Lerner die betreffende
grammatische Erscheinung zunächst durch neue lexikalische Füllungen
variiert und später kontextuell-situativ in größere
Äußerungszusammenhänge einbettet:
Beispiele:
Quand
j’étais en Camargue pendant les vacances d’été, je suis monté
sur un cheval pour la première fois dans ma vie. Je suis descendu de
l’autobus au prochain arrêt, parce que je me suis trompé de
ligne.
J’ai
monté le canapé au grenier. Comme ça on plus de place pour la
nouvelle télé.
J’ai
descendu vos bagages au foyer. Voulez-vous que j’appelle un taxi?
Lerner
können sich auch durch eine bewusste kognitive Verarbeitung der
grammatischen Form-Funktionsbeziehungen - sei es durch
lehrseitige Kognitivierung oder durch eigenständige Erschließung -
die entsprechenden Regularitäten beim ersten Auftreten der Phänomene
aneignen, hier die Distribution der Hilfsverben être
und avoir
in Abhängigkeit davon, ob es sich bei den oben genannten Verben um
intransitive (Bewegungs)Verben oder um transitive (Transport)Verben
handelt.
2.2.1 Erwerbstheoretische
Begründungen und allgemeine methodisch-didaktische Implikationen für
die Grammatikvermittlung
Die
in 1.3 exemplarisch beschriebenen Lernprozesse lassen sich durch
psycholinguistische bzw. kognitionspsychologische Befunde der
Fremdsprachenforschung zu Speicherungsform
bzw. Aktivierungsart
des erworbenen L2 Wissens erklären. In der Fremdsprachenforschung
ist die Rolle impliziten
Grammatikwissens für das Erlernen mündlicher Sprachfertigkeiten
wegen des mit ihm einhergehenden, automatisierten Abrufs
unumstritten, wenn die aktive mündliche Beherrschung der L2
angestrebt wird. Bis heute herrscht indes keine endgültige Einigkeit
darüber, worin genau der Beitrag expliziten
Grammatikwissens für den Erwerb von sprachlichem Handlungswissen
in der spontanen
mündlichen
Kommunikation besteht – und somit von lehrseitigen
Kognitivierungsmaßnahmen, vor allem des Bewusstmachens grammatischer
Regeln, d.h. von Grammatikunterricht.
Die unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob bzw. inwieweit
ebenfalls
explizite Grammatikkenntnisse die L2 Performanz steuern können,
erstrecken sich von marginal
- da nur für planbaren
Sprachgebrauch, insbesondere das Schreiben, einsetzbar (z.B. Krashen
1982) - über transitorisch
(sequentiell)
- als mentales Zwischenstadium, das sich nach und nach in implizites
Wissen umbaut (z.B. Anderson 1976) - bis hin zu prinzipiell
koexistent, da explizites
Grammatikwissen nicht als unvereinbar mit bzw. kontraproduktiv für
dessen automatisierte Aktivierung in mündlichen Äußerungen
angesehen wird (z.B. Bialystok 1978, Ellis 1990, Sharwood-Smith 1981;
1997). Solange die Frage noch nicht endgültig beantwortet ist,
ob explizites Wissen, weil es analysiert und somit bewusst ist,
dessen raschen Abruf in der mündlichen Kommunikation
ausschließt, hemmt, zulässt oder fördert, wird das finale
Lernziel von L2 Grammatikunterricht kontrovers bleiben. Strittig
wird weiterhin sein, ob ausschließlich
implizites Grammatikwissen erworben werden soll oder ob
zusätzlich
explizite Wissensbestände gelernt werden sollen. Daher stellen die
in 1.5.1 vorgestellten Lehrverfahren verschiedene
Vermittlungsoptionen dar, die gezielt die Lernchancen fördern, die
beide
Repräsentationsformen fremdsprachlichen Wissens eröffnen. Je nach
den konkreten Bedingungen der Lehr-Lern-Situation werden die
tatsächlichen Erwerbsresultate unterschiedlich ausfallen. Allerdings
ist davon auszugehen, dass unter den Bedingungen des schulischen
Fremdsprachenunterrichts mit Französisch als zweiter oder dritter
Fremdsprache die Vorteile expliziten L2 Grammatikwissens zum Tragen
kommen werden, u.a. indem lehrseitig die bereits vorhandenen
lernersprachlichen Ressourcen genutzt werden können, z.B. durch die
Analyse der zielsprachlichen Grammatik im Spiegel des verfügbaren
mutter- und fremdsprachlichen Sprachbesitzes.
2.3 Lehrprinzipien,
Lehrverfahren und Lehrmaßnahmen
Unter
Lehrprinzipien
sollen hier allgemeine Leitlinien für die Fremdsprachenvermittlung
verstanden werden. Sie beruhen auf lernwissenschaftlichen
Erkenntnissen, sind lehrstoff- sowie größtenteils lerner- und
lernphasenunabhängig, und ihre unterrichtliche Anwendung eröffnet
jeweils spezifische Lernpotenziale. Lehrverfahren
sind methodisch-didaktisch präzisierte Vorschläge zur
unterrichtlichen Vermittlung von L2 Wissen bzw. Fertigkeiten.
Sie umfassen Bündel von verschiedenen Lehrmaßnahmen
in Form von weiter konkretisierten Vermittlungshandlungen, die
ein gemeinsames globales Lehrziel verfolgen, z.B. das Vertrautmachen
mit neuen grammatischen L2 Erscheinungen oder die Förderung der
Vergessensresistenz neuen grammatischen Wissens. Lehrverfahren
verstehen sich als Vermittlungsoptionen,
denn Entscheidungen zu ihrer Auswahl und Umsetzung in konkrete
Lehrhandlungen - d.h. welche Lehrmaßnahmen wann für wen und für
welchen Lehrstoff sinnvoll sind - hängen immer von den jeweiligen
Unterrichtsbedingungen ab. Im Gegensatz zu Lehrprinzipien ist daher
die Anwendbarkeit insbesondere von Lehrmaßnahmen durch die
Bedingungen des Lehr-Lern-Gefüges stärker eingeschränkt, z.B. in
Bezug auf das Lehrziel, den Lehrstoff und auf Lernervoraussetzungen
und Lernerbedürfnisse. Weitere Einflussfaktoren für sinnvolle
Entscheidungen zum Einsatz von Lehrmaßnahmen sind die
Unterrichtsmethodik,
insbesondere die gewählte Fremdsprachenlehrmethode und die zur
Verfügung stehenden Unterrichtsmedien, die Anteile an lehrseitiger
Steuerung des Lernprozesses, z.B. durch variierende Aufbereitung des
L2 Inputs, durch primär sprachstrukturell fokussierte Übungen oder
inhaltlich-kommunikativ orientierte Lernaufgaben, die
Unterrichtsorganisation,
z.B. Präsenzlernen, Hausaufgaben, sogenanntes blended
learning (als Kombination
aus Präsenz- und Online-Kurs), und die Sozialform,
z.B. Frontalunterricht, Partner-, Gruppen- oder Projektarbeit.
Lehrprinzipien
und Lehrverfahren bzw. die aus ihnen ableitbaren Lehrmaßnahmen
stehen zueinander in einer mehrfachen Zuordnungsbeziehung. Ein
bestimmtes Lehrverfahren kann durch mehrere Lehrprinzipien
begründet bzw. ein Lehrprinzip durch mehrere Lehrverfahren
realisiert werden. So kann z.B. das Lehrprinzip Sprachbewusstheit
durch die beiden Verfahren Analyse
grammatischer L2 Strukturen und
Lokalisierung des Fehlers
sowie Begründung des
Regelverstoßes in
nicht normgerechten L2 Ausdrücken samt Korrekturvorschlag für die
unterrichtliche Grammatikvermittlung umgesetzt werden. Hierzu das
folgende Aufgabenbeispiel:
Bestimmen
Sie die Bedeutung des vor- bzw. nachgestellten Adjektivs: Il a
un sacré talent – La vache sacrée est vénérée dans de
nombreuses religions dans le monde. Cette piscine à pleine air se
trouve dans une ancienne sablière –
Pour un amateur de livres
anciens ce journal intime du 18ème siècle est un vrai coup de cœur.
Warum
sind folgende Sätze falsch?
(Je vous souhaite une bonne journée! –) Merci, vous aussi!. Il a
envoyé tout promener. Wo
liegt der Fehler, gegen welche Regularität wird verstoßen, und
wie lauten die Sätze richtig?
Die
in 1.5 vorgestellten Lehrverfahren beruhen mit unterschiedlichen
Schwerpunktsetzungen auf den folgenden Lehrprinzipien:
- einsprachige und mehrsprachige Lehre miteinander verbinden,
- die Steuerung des Lernprozesses durch die Verbindung von expliziter und impliziter Lehre variieren,
- lernökonomisch lehren,
- Sprach- und Sprachlernbewusstheit schaffen,
- selbst entdeckendes Lernen fördern,
- sprachliches Vorwissen und Lernerfahrung nutzen,
- intra- und interlinguale Wissensnetze aufbauen,
- Anlässe zum systematischen und wiederholten Üben schaffen und
- individuelle Lernerunterschiede berücksichtigen.
2.4
Lehrverfahren für die Lexik- und Grammatikvermittlung
Mit
Hilfe der Lehrverfahren
für L2 Grammatik, wie sie hier auf der Ebene von konkreten
Lehrmaßnahmen für die Unterrichtspraxis exemplarisch vorgestellt
werden, kann der Lehrstoff dem Lerner angeboten werden, um bei ihm
Lernprozesse anzubahnen und zu fördern, die ihn zur Erreichung
eines vorab festgelegten Lehrziels führen sollen. Dem Einsatz
von Lehrverfahren vorauszugehen haben Entscheidungen zu der
Auswahl
und Progression
des Lehrstoffs für seine unterrichtliche Einführung. Die
Grammatikselektion wird u.a. durch Überlegungen zur Frequenz in
der Alltagssprache und Verteilung über bestimmte Textsorten
bestimmt. Die Planung der Progression erfolgt ebenfalls nach
verschiedenen Kriterien (Metzler
Lexikon Fremdsprachendidaktik
2010: 250f.), zu denen u.a. sprachsystematische, lernpsychologische
und situationsbezogene Gesichtspunkte gehören. Zielkonflikte
sind dabei vorprogrammiert, wenn einfache Strukturen, z.B. die
Bildung des Präsens der Verben des Typs parler,
wegen des günstigen Verhältnisses von Lernaufwand und -erfolg
zunächst bevorzugt werden, für die Bewältigung elementarer
kommunikativer Bedürfnisse indes bereits früh komplexe
Strukturen benötigt werden, z.B. die Flexion von unregelmäßigen
Verben im Präsens, z.B. aller,
venir und prendre:
Comment
va-t-on à la gare?
Prenez
la première à gauche, continuez tout droit et vous trouvez la gare
sur votre droite.
Vous
venez d’où? – On vient d’Allemagne.
Die
anfängliche Vermittlung von sprachlichen Routinen mit der Option,
diese im Sinne einer spiralförmigen Progression später wieder
aufzugreifen und durch eine explizite Vermittlung der grammatischen
Regularitäten zu kognitivieren, kann dazu beitragen, die Kollision
der oben genannten Auswahlkriterien abzumildern.
Die
im Folgenden vorgestellten Lehrverfahren für Grammatik unterstützen
in unterschiedlichem Umfang die ersten beiden der drei Erwerbsphasen
von L2 Einheiten und Strukturen:
1)
das Neulernen,
d.h. Verstehen und
2)
die (stabile) Speicherung,
d.h. Einprägen und
Behalten (Memorisierung),
und
sind somit die „vorkommunikativen“ Voraussetzungen für die
weiteren Wissensbereiche, insbesondere Lexik. Das dritte
Lehrverfahren ist die integrierende Phase der
3)
Anwendung
(Automatisierung), d.h.
des schnellen und sicheren Abrufs für kommunikative Bedürfnisse.
Dabei
können bereits in den ersten beiden Phasen multiple Lerneffekte
entstehen, z.B. wenn die stabile Speicherung einer neuen
grammatischen L2-Struktur durch Umformungs- oder Einsetzungsübungen
gefördert werden soll und zusätzlich neue L2-Lexik mit
erworben bzw. bereits vorhandenes lexikalisch-grammatisches
Wissen aktiviert und (weiter) automatisiert wird. Zu bedenken ist
ebenfalls, dass im kommunikativen
FU Lehrmaßnahmen, z.B. für die Grammatikvermittlung, immer
Einzelschritte in
umfassenden Lehrhandlungssequenzen sind, denn sie zielen darauf ab,
L2-Kenntnisse zu vermitteln, die in die Ausbildung von globalen
rezeptiven und produktiven Sprachfertigkeiten zu integrieren sind.
Die
Lehrverfahren bzw. die sie realisierenden Lehrmaßnahmen, die in
1.5.1 vorgestellt werden, zielen auf die Vermittlung von
deklarativen Wissensbeständen ab, verstanden als zielsprachliches
grammatisches Wissen.
Sie werden nach ihrer prototypischen Verortung in den zwei o.g.
Phasen
des Lernprozesses und unter Nennung ihrer Lehrziele
vorgestellt, so dass Mehrfachzuordnungen von Phasen und Verfahren
möglich sind, z.B. wenn Sprachanalyse primär auf das stabile, weil
vernetzungsfördernde Speichern von L2-Strukturen abzielt, aber
sekundär zu weiteren Neulerneffekten führt. Der Schwerpunkt
liegt auf Verfahren, die systematisches Sprachwissen
vermitteln. Diese bilden unter lernpsychologischen
Gesichtspunkten und den lernorganisatorischen Rahmenbedingungen des
Fremdsprachenunterrichts eine günstige Voraussetzung
für den Aufbau von Verwendungswissen, um das erworbene
Sprachwissen situativ-kommunikativ angemessen zu gebrauchen. So
ermöglichen es breite, durch grammatische Regeln vermittelte
deklarative Sprachkenntnisse - auch wenn sie zunächst nicht bzw. nur
schwach automatisiert sind - dem Lerner, bereits in der Anfangsphase
des Fremdsprachenunterrichts durch eigenverantwortliche
außerunterrichtliche Aktivitäten - vor allem durch die
ausdrucksfokussierte Rezeption von selbst ausgewählten
(authentischen) L2 Texten -, sich innerhalb kurzer Zeit ein
umfangreiches Angebot an L2 Grammatik zu verschaffen. Durch
diese Ausweitung des Sprachangebots kann der Lerner sich eine, im
Vergleich zum unterrichtlich zur Verfügung gestellten, zwangsläufig
stark eingeschränkten L2-Input breitere Grundlage verschaffen, um
lernersprachliche Hypothesen zu bilden und zu testen, die ihrerseits
die Voraussetzung für den Erwerb von produktiven L2-Kompetenzen
bildet (Huneke & Steinig 2000: 139f.; Börner 2000: 36).
Abschließend werden in
Form von Lerntipps und einem Vorschlag zu einem Fragebogen einige
Anregungen für die Vermittlung von prozeduralem, auf Grammatik
bezogenem lernstrategischen
Wissen gegeben (1.5.3).
2.4.1
Lehrverfahren für Grammatik
2.4.1.1
Neulernen von L2-Grammatik
Für
das Neulernen von L2-Grammatik bieten sich die folgenden
Lehrverfahren an:
- kognitivierende Vermittlung der Form-Funktionsbeziehungen neuer grammatischer Strukturen (mit variierendem Zeitpunkt und Umfang der Bewusstmachung) (vgl. a));
- ganzheitliche Vermittlung der Form-Funktionsbeziehungen neuer grammatischer Strukturen durch exemplarisch ausgewählte sprachliche Routinen (2.1.6 );
Dabei
können die folgenden Lehrziele definiert werden:
- Vertrautmachen mit neuen grammatischen Erscheinungen;
- Aufbau relevanten expliziten bzw. impliziten Grammatikwissens.
a)
Präsentation von Grammatikregeln mit schematisch bzw. propositional
(begrifflich-terminologisch) variierendem Format, Verdeutlichung
ihrer Reichweite mit Hilfe ausgewählter Beispiele:
- Präsentation von Grammatikregeln als signalgrammatisch formulierte (Mindt 2000), d.h. auf die Vermittlung von Handlungswissen abzielende, frei von metasprachlichen Beschreibungen dargestellte, z.B. durch schematisierte „Wenn-dann“-Regularität, z.B. avant que, jusqu’à ce que, en attendant que Subjonctif.
Beispiel:
Nicolas
est allé voir Odile avant qu’elle (ne) parte pour Lyon. On restera
au café jusqu’à ce qu’elle vienne nous retrouver.
- Präsentation von Grammatikregeln als Faustregeln, die Standardverwendungen beschreiben und dadurch lernstrategisch auf kognitive Ökonomie bei der Aneignung des grammatischen Phänomens abzielen. Ist man sich beispielsweise unsicher, ob ein Passiv gebildet werden kann bzw. wie es gebildet wird, benutzt man zur Bezeichnung eines Vorgangs ohne Nennung des Urhebers vor allem in der gesprochenen Sprache die aktivische Konstruktion mit on.
Beispiele:
On
a institué une commission d’enquête pour examiner cette affaire
de pot-de-vin.
L'année
dernière, on évacuait les déchets nucléaires toujours dans la mer
Baltique.
Die
Konstruktion
mit on
wird dann dem Passiv vorgezogen. Zum Vergleich:
Beispiele:
Une
commission d’enquête a été instituée pour examiner cette
affaire de pot-de-vin.
L’année
dernière, les déchets nucléaires ont toujours été évacués dans
la mer Baltique.
- Präsentation von Grammatikregeln im Sinne einer Regel-Beispiel-Grammatik, die die Form-Funktionsbeziehungen exakt und ausführlich beschreibt. Beispiel: Im Französischen kann ein (persönliches) Passiv nur von transitiven Verben gebildet werden. Ausnahmen bilden die Verben pardonner und obéir.
Beispiele:
Les
malfaiteurs seront interpellés, condamnés et passeront leur vie en
prison.
Notre
téléphone était mis sur écoute par les services secrets pendant
plusieurs mois.
Aber:
Commande et tu seras obéi. Tu es pardonné(e)
- Die Komposita von dire bilden die 2. Person Plural Präsens Indikativ auf -disez, z.B. contredire - contredisez, médire - médisez, prédire - prédisez, interdire - , interdisez usw. Ausnahme: redire – redites.
- Präsentation von Grammatikregeln wie zuvor, jedoch zusätzlich unter Bewusstmachung von bereits vorhandenem grammatischen Wissen, z.B.:
- durch intralinguale Anknüpfung an die bereits vertrauten Standardverwendungsbedingungen der Hilfsverben avoir und être mit dem participe passé in zusammengesetzten Tempora, deren Funktion für die lexikalisch-konstruktive Umkategorisierung eines intransitiven Bewegungsverbs - z.B. Hier soir soir, ma femme est sortie avec un ami de longue date -, in ein transitives Transportverb verwandeln, z.B. Ma femme a sorti la voiture du garage.
Beispiele:
Maman
est rentrée vs. Tu as déjà rentré le linge.
Jacques
est retourné à sa ville natale vs. Il vaut mieux retourner le
portable avant que le délai de réclamation n’expire.
- Gleiches gilt für die auxiliarbedingte Realisierbarkeit verschiedener lexikalisch-semantischer Varianten eines Verbs.
Beipiel:
Le
facteur n’est pas encore passé vs. Nos vacances ont passé très
vite.
- Interlinguale Aktivierung von bereits bekannten Verwendungsregularitäten der Vergangenheitstempora in vertrauten Fremdsprachen in narrativer Funktion im Englischen oder Russischen, um die entsprechenden Tempus-Aspekt-Gebrauchstypen des Französischen einsichtig zu machen. Man vergleiche z.B. die funktionalen Analogien des sogenannten Inzidenzschemas:
engl.
We were watching TV. Suddenly the phone rang (past progressive +
simple past),
russ.
My smotreli televizor. Vdrug zazvonil telefon (imperfektives
Präteritum + perfektives Präteritum)
gegenüber
dem Französischen:
frz. On
regardait <était en train de regarder> la télé. Tout à
coup, le téléphone a sonné (imparfait + passé composé).
b)
Präsentation
speziell ausgewählter Beispiele mit dem neuen grammatischen Phänomen
mit dem Arbeitsauftrag an die Lernenden, die einer gegebenen
grammatischen Erscheinung zu Grunde liegende Regularität selbst zu
entdecken. Bei diesem sprachanalytischen Zugriff sind
unterschiedliche Anteile lehrseitiger Steuerung der Aufmerksamkeit
möglich - von einer bloßen Präsentation in Form einer
intralingualen und / oder interlingualen Kontrastierung,
z.B.
mit dem Deutschen, über eine Ergänzung durch sogenanntes negatives
Material
bis hin zu einer expliziten Aufmerksamkeitslenkung auf
Konstruktionsmerkmale bzw. Kontextsignale. Beiepiele:
- Präsentation speziell ausgewählter Beispiele für die Vermittlung der wortartinduzierten (Un)Veränderlichkeit von tout.
Beispiele:
Ils <elles> sont tout à leurs
pensées
vs.
Ils sont tous à leurs pensées.
Elles sont toutes à leurs pensées.
* La salle tout(e) entière était
peinte en jaune.
* Elle est tout contente de ne pas
devoir verser de caution pour le nouvel appartement.
* Tout à ses pensées elle n’a
pas entendu son portable.
- Gleiches gilt für die Vermittlung der Wortstellungsregularitäten der kausalen Konjunktionen parce que, puisque und comme.
Beispiele:
Comme (*parce que, *puisque) on
avait assez de temps, on a siroté notre café en toute tranquillité.
vs.
On a siroté notre café en toute
tranquillité, parcque <puisque> on avait assez de temps.
- Präsentation speziell ausgewählter Beispiele durch Verweis auf die Art bzw. Form des einleitenden unpersönlichen Satzes mit il semble bzw. il paraît die Regeln der Moduswahl im abhängigen que-Satz entdecken lassen, z.B. in der Aufgabe:
In den folgenden von sembler bzw.
paraître abhängigen que-Sätzen treten indicatif und subjonctif
auf. Sie sind nicht gegeneinander austauschbar. Versuche, die
Gebrauchsbedingungen herauszufinden. Achte dabei auf den
Äußerungstyp bejahend, fragend, verneinend:
Il me semble
qu’il a pris des risques inconsidérés. Il me paraît qu’ils
font de nouveau du chiffre. Il ne me semble <paraît> pas que
la situation soit si mauvaise. Vous semble-t-il qu’il ait pris trop
de risques? ... .
- Präsentation speziell ausgewählter Beispiele mit Aufmerksamkeitslenkung auf Verbbedeutung, Kontext- bzw. Konstruktionsmerkmale und zusätzlicher Übersetzung der L2-Erscheinung in die L1, um die Lernenden für die zu entdeckende L2-Grammatikregel zu sensibilisieren. Man vergleiche die Möglichkeit der Funktionsdifferenzierung des verbmorphologisch synkretischen Passivs im Französischen im Spiegel der distinkten Form-Funktion-Differenzierung von Vorgangs- und Zustandspassiv im Deutschen.
Beispiele:
Le magasin sera fermé à midi - Le
magasin sera fermé pendant toute la semaine prochaine. (dt. wird
bzw. ist geschlossen).
Le courrier était distribué par la
gardienne (dt. wurde (gewöhnlich) bzw. war schon verteilt) - Le
courrier était déjà distribué.
Le chanteur était accompagné par
un orchestre – Chaque plat du menu était accompagné d’un vin
correspondant. (dt. wurde begleitet bzw. war begleitet).
c) Präsentation
neuer
Grammatikerscheinungen exemplarisch als sprachliche Routinen, um dem
Lerner komplexe Strukturen rasch für die Kommunikation verfügbar zu
machen, z.B. bei bekannter Standardregularität der Erweiterung durch
de
+ bestimmten Artikel.
Beispiele:
la capitale de la France
les universités de l’Allemagne
Verweis
auf abweichende Verwendungen von
de zur Erweiterung
einer Nominalgruppe mit Ländernamen ohne bestimmten Artikel.
Beispiele:
les Falaises de Normandie
le vin de Bourgogne
les Alpes de Haute-Provence
le Jardin de France
Mögliche
Lehroptionen bestehen darin, dieses zunächst ganzheitlich
vermittelte Sprachangebot zu einem späteren Zeitpunkt zu
kognitivieren. Diese tiefere Verarbeitung grammatischen Wissens führt
zu einer stärkeren Vernetzung mit bereits vorhandenen
Wissensbausteinen und somit zu einer stabileren Speicherung des
Phänomens (s.u.).
2.4.1.2
Speichern von L2-Grammatik
Für
das Speichern von L2-Grammatik bieten sich die folgenden
Lehrverfahren an.
- Sprachanalyse (4.1., 4.2);
- Kleinschrittige Einübung ausgewählter grammatischer Strukturen in Minimalsituationen (4.3)
Dabei
können die folgenden Lehrziele definiert werden:
- für die Anwendungsbedingungen und Reichweite von Grammatikregeln sensibilisieren, um die Sicherheit des neu gelernten Wissens zu steigern;
- Regularitäten für ganzheitlich vermittelte grammatische Strukturen bewusst machen;
- durch Steigerung der Verarbeitungstiefe die Vergessensresistenz fördern;
- die Anwendbarkeit von Grammatik für kommunikative Zwecke vorbereiten.
Als
Lehrmaßnahmen ergeben sich die folgenden:
a)
Begründung des Auftretens einer grammatischen Erscheinung begründen,
z.B.:
- Begründung durch die Angabe der Grammatikregel für die Verweisregularitäten von ceci und cela im Text.
Beispiele:
Je
te dis ceci une fois pour toutes: Je n’admets pas qu’on me
réplique.
Heureusement,
le SAMU est arrive très vite. Pour nous cela a tout de même paru
durer une éternité.
- Begründung durch die Angabe der Grammatikregeln, gegen die in den folgenden Sätzen ein Verstoß vorliegt, und Durchführen der entsprechenden Korrektur.
Beispiele:
*Je
suis rentré en stop comme je n’avais plus d’argent.
*Les
mesures que le gouvernement a pris pour lutter contre l’endettement
croissant de l’Etat s’inscrivent entièrement dans le cadre de la
politique d’austérité préconsié par les économistes.
*Il
prends toujours bien du sucre.
- Auswahl der korrekten Form von mehreren angebotenen und Begründung der Entscheidung durch die Angabe der zugrunde liegenden Regularität.
Beispiel:
«
Dans cette boutique ils ... le café sous vos yeux »,
s’émerveille Nicole.
Für
die Auswahl angebotene Formen des Verbs moudre sind: moudent,
moulent, mouent.
b)
zusammen mit der aufmerksamkeitssteuernden Funktion kontrastiven
Beispielmaterials zunächst ganzheitlich gelernte grammatische
Routinen als Basis für das eigenständige Bilden und Testen von
lernersprachlichen Hypothesen über die zu Grunde liegende
Regularität aufgreifen bzw. diese durch kognitivierende
Lehrmaßnahmen bewusst machen - vgl. die durch geeignete
Gegenüberstellung induzierbare Sensibilisierung für die
Verwendungsregularitäten von de
mit bzw. ohne bestimmten Artikel bei der Erweiterung von
Ländernamen:
Beispiele:
les
partis politiques de la France vs. les rois de France, les habitants
de l’Allemagne vs. les Châteaux de Loire).
c)
Lückentexte, Umformungs- und
Frage-Antwortübungen präsentieren, um den Transfer neuen
grammatischen Wissens auf sprachliche Minimalsituationen zu fördern,
- wie zur Verwendung von y und en:
Marc
... est rentré (de Toulouse).
Nadine
... retournera dans un mois (à Toulouse)
- Umformung von Sätzen zur Elizitierung bestimmter grammatischer Strukturen, z.B. von bejahenden Sätzen mit direktem Objekt verneinende bilden, um den Gebrauch von partitivem de bzw. bestimmten Artikel zu festigen:
Beispiele:
Pour
le petit déjeuner ma femme prend toujours du café – ... ne prend
jamais de café.
Comme
apéritif j’ai pris un Pastis – ... je n’ai pas pris de Pastis,
mais une Suze ...
Nous
aimons beaucoup la bourride du pêcheur comme on la fait en Normandie
– Nous n’aimons pas la bourride ...., nous préférons la
bouillabaise comme on la fait à Marseille.
- Vorgabe von grammatischen Strukturen, mit denen auf bestimmte Fragen geantwortet werden soll
Beispiele:
Vous
avez quel âge? (51, 65, 77, 80, 82, 93 Jahre) – J’ai cinquante
et un, soixante-cinq, soixante-dix-sept, quatre-vingts,
quatre-vingt-deux, quatre-vingt-treize ans.
2.4.2 Zum
Lernpotenzial der oben genannten Lehrverfahren für Grammatik
Die
Möglichkeiten und Grenzen der unterrichtlichen Anwendung der oben
genanten Lehrverfahren bzw. -maßnahmen ergeben sich vor
allem aus den linguistisch spezifizierbaren Eigenschaften des
Lehrstoffs, der lernpsychologischen Fundierung der Lehrverfahren
und den jeweiligen Lernermerkmalen. So ist z.B. Voraussetzung für
einen signalgrammatischen Lehrzugriff die Existenz einer eindeutigen
unilateralen Implikation der Form-Funktionsbeziehungen zwischen
zwei grammatischen Erscheinungen. Für eine gezielte Vermittlung
einer Grammatikregel spricht unter anderem, dass explizite Lehre
zeitökonomisch - weil kognitive Ressourcen schonend - ist.
Insbesondere diejenigen der oben genannten. Lehrmaßnahmen, die auf
die Aktivierung von intra- bzw. interlingualem Vorwissen
abzielen, beruhen auf der auf Ausubel (1968) zurückgehenden Idee der
sogenannten advance
organizers, d.h.
(...)
vorausgeschickte Lernorganisatoren, die als „Ankerideen“
fungieren und bei der Wahrnehmung neuer Informationen entscheidend
mitwirken.“ (Edmondson & House 2006: 99).
Ihre
Anwendbarkeit steht und fällt daher damit, ob bzw. inwieweit Lerner
dieses (Vor)Wissen mitbringen. Die Lernchancen, die die oben
genannten Verfahren für die Vermittlung von Grammatik eröffnen
können, werden auch durch Lernstile (Grotjahn 1988; Edmondson &
House 2006: 209ff.) beeinflusst. Daher dürften kognitivierende
Zugriffe eher für den analytischen Lerntyp, auf die Vermittlung von
sprachlichen Routinen abzielende Zugriffe hingegen eher für den
holistischen Lerntyp von Vorteil sein. Schließlich ist davon
auszugehen, dass Lehrverfahren, die selbst entdeckendes Lernen
unterstützen, wegen des damit verbundenen höheren kognitiven
Aufwandes zu einer tieferen Verarbeitung und somit - nicht zuletzt
auch wegen der positiv besetzen affektiven Wirkung des durch
Eigenaktivität erzielten Lernerfolgs - zu einer höheren
Vergessensresistenz führen.
2.4.3 Lexik-
und grammatikbasierte Lernstrategien
Die
Frage, ob bzw. inwieweit eine Sensibilisierung für Lernstrategien
bzw. Lerntechniken erforderlich ist, stellt sich unter zwei Aspekten
- einem allgemeinen erwerbstheoretischen
und einem speziellen, das Französische als Fremdsprache
betreffenden. Ist der lernfördernde Effekt von Strategiewissen als
solchem bislang strittig - insbesondere die Frage, ob Lernstrategien
als solche
zu höherem Lernerfolg
führen und daher gezielt gelehrt
werden müssen (Zimmermann 1997: 102; Edmondson & House
2006: 237f.) - und Französisch in deutschen Schulen häufig eine
spät beginnende Fremdsprache, deren Lerner demzufolge schon über
individuelle Lernerfahrungen - d.h. über erprobte und
dementsprechend auf neue Fremdsprachen übertragbare Lernwege mit
bereits vertrauten Fremdsprachen verfügen -, kann die didaktische
Entscheidung, ebenfalls im Französischunterricht strategische
Kompetenzen zu vermitteln, nicht zwangsläufig überzeugen - auch
wenn sie für moderne Lehrwerke zur Norm geworden ist (man vergleiche
z.B. die Lerntipps in Panorama,
Méthode Orange,
Découvertes).
Sollte dennoch Bedarf für ein Strategietraining bestehen, bietet
sich als Lehrverfahren die Bewusstmachung des individuell
eingesetzten Strategierepertoires an - zusammen mit einer
Sensibilisierung für möglicherweise noch nicht erprobte Lernwege.
Als geeignete Lehrmaßnahme bieten sich insbesondere Lerntipps
an, die auf der Ebene von Lerntechniken
Empfehlungen für konkrete Lernhandlungen geben. Exemplarisch und in
Ergänzung der in den oben genannten Lehrwerken angeführten
zahlreichen Lerntipps seien folgende genannt3:
- Wenn man sich eine Fremdsprache aneignen will, macht es Sinn, bewusst Grammatik zu lernen, u.a. weil
- jede Sprache eine nur für sie charakteristische Grammatik hat und
- explizites Grammatikwissen die Aufmerksamkeit der Lernenden auf zwei lernrelevante Aspekte lenken kann, auf das, was sie bereits kennen, und auf das, was für sie neu ist - und daher noch gelernt werden sollte.
Wegen
ihrer aufmerksamkeitserregenden Funktion sind Grammatikkenntnisse
somit alles andere als Umwege (oder gar Irrwege) beim
Fremdsprachenlernen. Sie bieten Fremdsprachenlernern eine sinnvolle
und entlastende Hilfestellung und leisten dadurch einen
entscheidenden Beitrag zum erfolgreichen Fremdsprachenlernen.
- Setzen Sie Ihr Grammatikwissen gezielt ein, insbesondere wenn Sie Texte lesen und schreiben, indem Sie nicht nur auf Inhalte, sondern auch auf sprachliche Formen achten. Es bietet sich z.B. an:
- beim Lesen von Texten Phasen einlegen, in denen Lerner sich bemühen sollten, bestimmte grammatische Phänomene (wieder)zuerkennen. Sie sollten versuchen, sich die Ihnen zugrunde liegenden Regularitäten in Erinnerung zu rufen, diese nachschlagen oder entsprechend nachfragen, wenn sie Ihnen nicht ganz vertraut oder gar unbekannt sind. Auf diese Weise schaffen sie für sich einen Lernanlass, denn sie wiederholen bzw. vertiefen die entsprechenden Grammatikregeln. Ein zusätzlicher Vergleich mit den entsprechenden Strukturen der Muttersprache kann den Übungs- und Lerneffekt unterstützen;
- bei der Sprachproduktion das eigene Wissen so anzuwenden, dass Texte beim Schreiben bewusst nach den vertrauten Grammatikregeln abgefasst werden. Beim Sprechen bleibt hierfür (leider) keine Zeit.
- Beim Sprechen können Lerner Aufschluss über ihre grammatische Kompetenz dadurch bekommen, dass sie darauf achten, ob man sie versteht, ob man zur Verständnissicherung das, was sie sagen, noch einmal wiederholt und dabei umformuliert oder ob man sie korrigiert.
- Lernende sollten versuchen, grammatische Regeln selbst zu entdecken, und überprüfen, ob die von ihnen entwickelten Regeln stimmen, denn:
- Ihre eigenen Regeln sind so abgefasst, wie sie sie verstanden haben und wie sie sie benutzen können;
- Es steigert sich die Verarbeitungstiefe und damit die Verankerung grammatischer Regeln im Gedächtnis, wenn die Entdeckung von ihnen als eine ganz persönliche Erfahrung erlebt wird, die frei davon ist, vorgegebene Erklärungen nachzuvollziehen;
- Das Herausfinden von stimmigen Zusammenhängen macht zudem Spaß und gibt Befriedigung, denn es wird als etwas Eigenes und Schöpferisches empfunden.
- Lerner sollten verschiedene Wege ausprobieren, um sich Grammatik einzuprägen. Hierzu zählen u.a.:
- eine Statistik der eigenen Fehler mit einer Wiederholung der entsprechenden grammatischen Regeln bei häufig auftretenden Fehlern;
- Die Einprägung grammatischer Regeln als Faustregeln, gegebenenfalls einschließlich einer Vereinfachung oder Reduzierung vorgefundener Regelformulierungen auf das Wesentliche;
- Die Memorierung von Grammatikregeln zusammen mit ausgewählten Anwendungsbeispielen. Dabei mag es Lernenden hilfreich sein, sich zusätzlich “negative” Beispiele zu merken, um sich den Geltungsbereich der Regel einzuprägen. Ist ihnen die Regel unverständlich, merken sie sich zunächst nur einige für die sprachliche Erscheinung repräsentative Beispiele
- Die Nutzung des Grammatikwissens der Muttersprache sowie schon bekannter Fremdsprachen und der Versuch, Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zu den neuen Grammatikregeln festzustellen.
Ein
weiteres Verfahren ist der Einsatz von Fragebögen, für deren
Erstellung vorliegende Inventare von Lernstrategien und -techniken
eine gute Ausgangsbasis darstellen (z.B. Bimmel & Rampillon
2000). Fragebögen machen nicht nur mit verschiedenen Lernstrategien
bzw. -techniken vertraut, sondern bieten den Lernern die Möglichkeit,
sich ihre individuellen Lernpräferenzen bewusst zu machen und auf
diese Weise unter Umständen neue Lernwege für sich zu erproben, so
z.B. dann, wenn die Frage lautet:
Welche
der folgenden Techniken wendest Du an, um Grammatik zu lernen? Wähle
eine Zahl von 1 (= gar nicht) bis 5. (immer), je nach dem Ausmaß,
wie die Technik auf Deinen Fall zutrifft.
3
Abschließende Bemerkungen
Lernwissenschaftliche
fundierte fremdsprachendidaktische Beiträge, wie die o.g.
Lehrverfahren für Grammatik, zielen darauf ab, Lehrenden
Hilfestellung für das Praxisfeld Fremdsprachenunterricht zu geben,
indem sie auf der Grundlage von empirischen Befunden zum
Fremdsprachenlernen verschiedene Lehroptionen benennen und die
durch sie - unter günstigen Bedingungen - jeweils realisierbaren
Lernpotenziale beschreiben. Was man als Lehrender von einer
lernwissenschaftlich orientierten Fremdsprachendidaktik erwarten
kann, sind somit keine fertigen Unterrichtsrezepte, sondern
eine Sensibilisierung für Möglichkeiten und Grenzen von
Lernchancen, die bestimmte Lehrentscheidungen und die sich aus
diesen ergebenden Lehrhandlungen eröffnen. Welche
Vermittlungsentscheidungen im Einzelnen getroffen werden müssen,
z.B. mit Blick auf die o.g. Lehrverfahren für Grammatik, können
Lehrende immer nur von den Bedingungsverhältnissen einer konkreten
Lehr-Lernsituation abhängig machen. Der Vorteil einer so
verstandenen Fremdsprachendidaktik liegt darin, dass Lehrende in
ihren Handlungsmöglichkeiten flexibel bleiben, denn sie können sich
bei Bedarf für das eine oder andere Lehrverfahren entscheiden und es
erproben.
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1 Bei
diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete, entsprechend
gekürzte und an die Fremdsprache Französisch adaptierte Version
meines Kapitels „Wortschatz- und Grammatikvermittlung“,
erschienen in Anka Bergmann (Hrsg.), Fachdidaktik
Russisch. Eine Einführung.
Tübingen 2014, 190-213. Die französischen Beispiele stammen aus
Klein & Kleineidam (1983), Jaskarzec (2005) und vom Autor dieses
Artikels.
2 In
einer Grauzone zwischen Wortschatz
und Grammatik
liegen wegen ihres nur partiell regelhaften Verhaltens z.B.
Präpositionen und die Rektion der Verben, was sich u.a. darin
zeigt, dass sie sowohl in Wörterbüchern als auch in Grammatiken
abgehandelt werden (vgl. z.B. Klein & Kleineidam (1983):
124ff.; 163ff).