Kommunikation
ohne Grammatik
oder
Grammatik ohne Kommunikation?
Anmerkungen
zum Spracherwerb Französisch,
ausgehend
von Hartmut Kleineidams
Grammatik-Kommunikations-Statement
von 1982
Uwe Dethloff
(Saarbrücken)
Abstract
Hartmut
Kleineidam hat in seiner Analyse eines kommunikativ ausgerichteten
Fremdsprachenunterrichts in einem Grundsatzartikel
"Kommunikation ohne Grammatik oder Grammatik ohne Kommunikation"
(Neusprachliche Mitteilungen 35 / 2 (1982), 103 - 113)
gefordert, dass man bei der Verwendung von situations-, themen- oder
sprechaktbezogenem sprachlichen Ausgangsmaterial zur Förderung
der Kommunikationsfähigkeit im Französischen "eine an der Form
orientierte Inventarisierung und Organisation sprachlicher
Strukturen" nicht vernachlässigen dürfe (111). Wenn man die
aktuelle Situation bezüglich der Französischkenntnisse in den
deutschen Schulen und in unserer Gesellschaft betrachtet und
zugleich z. B. die Frankreichstrategie der Saarländischen
Landesregierung zur progressiven Einführung des Französischen
als zweiter Verkehrssprache im Saarland in den Blick nimmt, so wagt
man die Forderung nach einer auch grammatikalisch korrekten
Beherrschung des Französischen kaum noch als zielrelevant in
die Spracherwerbsdiskussion einzubringen. Das Lernziel der
interkulturell akzeptablen Kommunikationsfähigkeit hat heutzutage
absolute Priorität.
Bereits
in den Fachdiskussionen der 1980 / 90er Jahre über die Rolle der
Grammatik im Fremdsprachenunterricht Französisch und zu den
Zielvorgaben für den schulischen Französischunterricht wurde eine
konsequente Relativierung des grammatikzentrierten
Fremdsprachenunterrichts zugunsten einer kommunikationsorientierten
Fremdsprachenvermittlung propagiert. Die kompromisslose
Unterordnung des Kriteriums 'grammatische Korrektheit' unter das
Globalziel 'Kommunikationsfähigkeit' insbesondere im schulischen
Bereich hat dazu geführt, dass verbreitet eine auch nur in
Grundzügen korrekte Beherrschung der Morphologie und Syntax des
Französischen - und dies nach jahrelangem Sprachunterricht - kaum
noch vorhanden ist und zudem als nachrangig betrachtet wird. Auf
fortgeschrittenem Niveau und zumal im beruflichen Kontext gilt jedoch
für das Französische, dass nur (auch grammatisch) korrektes,
pragmatisch angemessenes und interkulturell akzeptables Sprechen
und Schreiben in der Zielsprache eine effiziente, vertrauensbildende
Kommunikation mit dem französischsprachigen Gesprächs- und
Geschäftspartner gewährleistet. Es gilt folglich, die richtige
Balance zwischen "sprachlicher Adäquatheit" und
"Kommunikationsfähigkeit" zu finden und im Bereich der
Grammatik durch bestimmte Verfahren, wie z.B. Chunking,
den Lernenden zu
einer annähernd authentischen Sprach- und Sprechkompetenz zu
befähigen.
1
Hartmut Kleineidams Rollenverständnis von Grammatik vor dem
Hintergrund der aktuellen Lernzieldiskussion im
Fremdsprachenunterricht
Als
Hartmut Kleineidam 1982 in einem vielbeachteten Beitrag der
Neusprachlichen
Mitteilungen mit dem
Titel "Kommunikation ohne Grammatik oder Grammatik ohne
Kommunikation" (Kleineidam 1982: 103-113) ein klares Votum für
die Öffnung des Grammatikbuches "in Richtung auf die
Verwendungssituation" abgab (Kleineidam 1982: 111), befand er
sich mitten in der Diskussion über die Neuorientierung des
Fremdsprachenunterrichts an dem Globalziel 'kommunikative
Kompetenz'. Er vertrat damals den Standpunkt, dass man eine
angemessene Kommunikationsfähigkeit im Französischen nicht
unter Vernachlässigung des Kriteriums der grammatischen Korrektheit
erreichen könne und man demzufolge bei der Verwendung von
situations-, themen- oder sprechaktbezogenem sprachlichen
Ausgangsmaterial auf "eine an der Form orientierte
Inventarisierung und Organisation sprachlicher Strukturen"
(Kleineidam 1982: 111) nicht verzichten könne. Mit dieser Forderung
befand er sich bereits zu Beginn der achtziger Jahre auf Gegenkurs zu
der wachsenden Gruppe von Sprachexperten, welche die Rolle der
Grammatik bei der Ausbildung einer Fremdsprachenkompetenz,
insbesondere auch im Französischen, radikal einschränken wollten
und deren Credo einer weitgehenden Relativierung des Kriteriums
'grammatische Korrektheit' sich bis heute quasi generalisiert
hat. Im Zeitalter der medialen Vernetzung regiert das Motto: "Man
kann nicht nicht kommunizieren", und dementsprechend geht es
heutzutage im Fremdsprachenunterricht, so auch im Französischen, um
zwei Lernziele: Ausbildung einer ausreichenden
Kommunikationskompetenz und, - verstärkt in den letzten Jahren
- Vermittlung vertiefter interkultureller Kompetenz. Zur Diskussion
über Standards interkultureller Kompetenz sei hier insbesondere
auf den Sammelband von Andrea Rössler in den Beiträgen
zur Fremdsprachenvermittlung
(Rössler 2013) verwiesen. Rössler weist zu Recht in ihrem
einleitenden Artikel zum genannten Band darauf hin, dass die seit dem
neuen Jahrtausend in den Bildungsstandards für die erste
Fremdsprache festgeschriebenen curricularen Vorgaben zur Vermittlung
interkultureller Handlungskompetenz hohe Anforderungen an die
jugendlichen Lerner stellen, wobei die Validierung des Zuwachses an
interkultureller Kompetenz "extrem schwierig ist"
(2013: 9).
Mit
dieser doppelten Schwerpunktsetzung im heutigen
Fremdsprachenunterricht, Kommunikationskompetenz und
interkulturelle Kompetenz, scheint der durch G 8 dauergestresste
Lernende beim Erwerbsprozess des Französischen bereits soweit
belastet, dass ein so hehres Ziel wie morphologisch-syntaktische
Korrektheit beim Sprechen und Schreiben tendenziell als nachrangig
eingestuft wird. Hinzu kommt, dass mit der Fokussierung des
mündlichen Sprachgebrauchs auch das Qualitätsmerkmal
'Authentizität' in die kommunikativ-pragmatische Wende Eingang
gefunden hat, was sich in der verstärkten Verwendung von an
Alltagssituationen ausgerichteten Lehrmaterialien niederschlägt.
Heinz-Helmut Lüger (2009: 18) verschweigt nicht die Gefahren und
Defizite eines an solchen Materialien orientierten
Fremdsprachenunterrichts und macht auf den drohenden
Niveauverlust aufmerksam.
In
diesem Argumentationszusammenhang sei ein Seitenblick auf die
aktuelle sprachpolitische Programmatik im Saarland gestattet, das
sich als das 'französischste' aller Bundesländer seit Januar 2014
ein ehrgeiziges Alleinstellungsmerkmal auf seine Fahnen
geschrieben hat: die Etablierung des Französischen als zweiter
Umgangs- und Verkehrssprache bis zum Jahre 2043. Das politisch und
wirtschaftlich um seine Eigenständigkeit bemühte Saarland will sich
somit als Tor zu Frankreich empfehlen. Es ist hier jetzt sicherlich
nicht der Ort, um in diese Diskussion einzusteigen, aber was in den
letzten Wochen zu dieser Initiative der saarländischen
Landesregierung in den Hör-, Seh- und Printmedien bundesweit an
Argumenten und Gegenargumenten, und auch, im Internet, an
Verhöhnungen und Beschimpfungen, ausgetauscht worden ist, könnte
sich für eine spannende Dokumentation zur Geschichte einer
sprachpolitischen Polarisierung eignen. Die Landesregierung
setzt dabei offensichtlich auf die Bereitschaft der saarländischen
Bevölkerung, die Frankreich-Kompetenz zu wollen, mitzutragen und das
zu erweiternde Französischausbildungsangebot ab den Kitas, über die
Grundschule, die weiterführenden Schulen bis hin zu den
Fortbildungseinrichtungen als eine einmalige Chance zur
Zweisprachigkeit und, im Verein mit anderen Sprachen, zur
Mehrsprachigkeit im Saarland und in Europa zu etablieren, nach dem
Motto: 'Französisch macht sexy'. Eine optimistische Vision, nicht
zuletzt auch, weil der zu konstatierende Ansehens- und
Bedeutungsverlust unseres Nachbarlandes einen gewaltigen Zuwachs an
Lerneifer hierzulande in der jungen Bevölkerung kaum erwarten lässt.
Unter den vielen Meinungen und Kommentaren der letzten Wochen scheint
uns stellvertretend Cathrin Elss-Seringhaus die Sprachinitiative der
Landesregierung treffend einzuordnen, wenn sie in der Saarbrücker
Zeitung vom 22. Januar
2014 ausführt:
Nicht zufällig ist
Französisch immer noch eine dominierende Verkehrssprache in der EU.
Doch die Zeiten alten Glanzes sind vorbei. Das wissen auch junge
Menschen - und lernen neben Englisch lieber Spanisch. Wer sich
heute mit der Nähe zu Frankreich schmückt, wird eben nicht mehr
selbstverständlich profitieren. Dass es dennoch richtig und höchst
begrüßenswert ist, wenn das Saarland seine Französisch-Kompetenz
und die der Bürger stärkt, begründet sich nicht [nur] durch große
materielle Vorteile. Es geht schlicht um einen Zuwachs an
Lebensqualität. Himmlisch die Aussicht auf ein Miteinander ohne
Sprachbarrieren (Elss-Seringhaus 2014: A 4).
In
den zahlreichen Bewertungen der Frankreichinitiative der Koalition
wird deutlich artikuliert, dass das ambitionierte und im Grunde
begrüßenswerte Projekt der Etablierung zweier Kommunikations- und
Verkehrssprachen an der Saar nur dann Aussicht auf Erfolg haben kann,
wenn die Motivation der Bevölkerung durch die Schaffung von
überzeugenden Rahmenbedingungen beflügelt wird, die ein nicht
unterbrochenes Eintauchen in die französische Sprache von der
Vorschule an über alle weiteren Schulniveaus hinaus bis hin zur
systematischen Fortbildung in den Verwaltungen und Behörden - nach
dem Prinzip Französisch vor Englisch - gewährleisten. Dazu gehört
vor allem auch, dass systematisch Muttersprachler eingesetzt und die
zukünftigen deutschen Französischlehrenden noch intensiver
sprachlich geschult werden, als dies z. B. in den französischen
Lehramtsstudiengängen im Saarland und in den Nachbarbundesländern
bisher geschieht. So fordert Reinhold Freudenstein mit anderen zu
Recht: "Wenn heute sprachliche Kompetenz gefordert wird, dann
müsste eigentlich von jedem Französischlehrer erwartet werden, dass
er das Französische ähnlich gut beherrscht wie seine
Muttersprache" und führt dabei das Luxemburger Modell des
obligatorischen Auslandsstudiums für zukünftige Deutschlehrer an
(Freudenstein 2003: 74). Generell besteht bei den
Fachvertretern für Französisch heutzutage Konsens darüber, dass
ein hohes Anforderungsprofil für den künftigen
Französischlehrenden unabdingbar ist (vgl. u.a. Bliesener 2002:
130-134).
2
Zur Standortbestimmung der Grammatik im Fremdsprachenunterricht
Französisch
Angesichts
der ehrgeizigen sprachpolitischen Initiative der Saarregierung wird,
so meinen wir, die Rolle der Grammatik erst recht in den Hintergrund
treten; morphosyntaktische Korrektheit wird bei der
kommunikationszentrierten Französischvermittlung für
alle zwangsläufig als
nachrangig betrachtet werden. Es ist uns ein Anliegen, an dieser
Stelle unserer Einordnung der Grammatik in die gegenwärtige
Lernzieldiskussion und Sprachenpolitik, ausgehend von den zu Beginn
genannten Positionen Hartmut Kleineidams, die Rolle der Grammatik in
der französischen Kommunikation und deren Standort in der heutigen
Sprachdidaktik im Lichte der neueren Entwicklungen näher zu
untersuchen.
Im
zweiten Heft des Bandes 37 von französisch
heute findet sich ein
Beitrag von Jürgen Mertens zum integrativen Grammatikerwerb mit
Jugendliteratur, den er mit der Feststellung einleitet, dass
„Grammatikunterricht in der derzeitigen wissenschaftlichen
Diskussion nicht unbedingt im Zentrum des Interesses“ steht
(Mertens 2006a: 146). Zugleich konstatiert er nicht zu Unrecht, dass
Grammatikunterricht immer noch ein „Dauerbrenner“ und ein
„Zankapfel“ zugleich ist. Auf das Französische bezogen, verweist
er auf Befragungen von Französischlehrern, aus denen hervorgeht,
dass auch noch in der gegenwärtigen Unterrichtspraxis der
regelbasierte, explizite Grammatikunterricht eine nicht unerhebliche
Rolle spielt und von den Französischlehrern mehrheitlich auch gern
betrieben wird, obwohl diese Unterrichtsmethode nicht unbedingt den
lern- und bildungsplanerischen Zielen der Förderung rezeptiver
und produktiver Französischkompetenzen entspricht (vgl. Mertens
2006a: 146f).
Regelgeleitetes
oder imitatives, durch den Gebrauch der Sprache bewirktes Erlernen
des Französischen, dies ist die traditionell kontrovers debattierte
Frage. Verstärkt in den Fokus genommen wurde in den letzten Jahren
zudem die Rolle der Lehrer-Schüler-Interaktion, der gezielten
Lenkung des kognitiven Aneignungsprozesses grammatischer
Regelhaftigkeiten durch die Schüler. Zu verweisen ist zu diesem
Aspekt auf einen weiteren Beitrag von Jürgen Mertens im Handbuch
Fachdidaktik Französisch
(Mertens 2006b). Die Strategien zur Vermittlung grammatischen
Wissens haben sich heutzutage darüber hinaus didaktisch verfeinert:
Aufmerksamkeitsfokussierung, Förderung von Sprachbewusstheit,
selbstentdeckendes Lernen als Mittel expliziter Bewusstmachung,
interaktiver, handlungs- und partnerorientierter
Fremdsprachenunterricht (vgl. Schiffler 1998), Textarbeit unter
Einbezug grammatischer Strukturen, die als integraler Textbestandteil
begriffen werden, darüber kann man in den einschlägigen
Zeitschriften informative Beiträge lesen. Wir verweisen hier
exemplarisch auch auf die Buchveröffentlichung von Jörg Roche
(2005).
Grammatik,
Dauerbrenner und Zankapfel zugleich: Diesen allgemeinen Lagebericht
gilt es - bezogen auf das Französische - in einer spezifischen Weise
zu problematisieren, indem wir fragen: Ist morpho-syntaktische
Korrektheit - basierend auf grammatischem Wissen - eine
Grundvoraussetzung für die
Kommunikation in
der Fremdsprache
Französisch? Mit dieser Grundsatzfrage wird auf solche Bestrebungen
und Tendenzen Bezug genommen, die nicht nur im schulischen
Bereich, sondern auch an den Universitäten zu beobachten sind,
nämlich die explizite Grammatikarbeit bei der Französischvermittlung
zu reduzieren, wenn nicht konsequent zu vernachlässigen. Also gilt
es hier zunächst, die Rolle der Grammatik für die Kommunikation in
der französischen Sprache grundsätzlich zu thematisieren, dies
insbesondere im Kontext der Existenzbedrohung des Faches Französisch
im deutschen Schulsystem.
Zum
Einstieg in die Problematik sei hier eine berufliche
Kommunikationssituation gewählt: Bei Vorträgen oder bei
Podiumsdiskussionen germanophoner Fachkollegen und -kolleginnen hört
man zuweilen Einleitungssequenzen wie die Folgende:
* Permettez-moi
(Ausdruck der Willensäußerung) que je me présente d'abord. Je suis
(disons) Heinz-Jürgen Schmidt et je m'estime heureux (Ausdruck der
Gemütsbewegung) que je puisse vous exposer aujourd'hui mes
positions sur la place de la grammaire dans l'enseignement du
français, langue étrangère.
Hier
wird eine grammatisch / stilistische Gesetzmäßigkeit nicht
beachtet, es wird kein authentisches Französisch produziert.
Präziser gewendet: Was hier für so manchen deutschsprachigen
Zuhörer als recht authentisches Französisch daherkommt, ist es
in Wirklichkeit nicht. Korrekt musste die Einleitungsformel heißen:
Permettez-moi de me
présenter d’abord….je m’estime heureux de pouvoir vous exposer
aujourd’hui mes positions sur la place de la grammaire dans
l'enseignement du français, langue étrangère,
denn
bei Ausdrücken der Willensäußerung und der Gemütsbewegung wird im
Französischen bei Subjektsgleichheit grundsätzlich kein que-Satz,
sondern eine Infinitivkonstruktion verwendet. Der Redner hat sich
also an exponierter Stelle, am Anfang seines Vortrags, trotz der
löblichen kommunikativen Intention - der Kontaktherstellung zu einem
deutsch-französischen Zuhörerkreis - zumindest gegenüber den
frankophonen Zuhörern als nur bedingt sprachkompetent entlarvt. Die
professionelle Kommunikationssituation, ein Vortrag vor Fachleuten
und Französischspezialisten, ist zwar nicht nachhaltig gestört,
aber doch in gewisser Weise belastet - und dies wegen der
Nichtbeachtung einer syntaktischen / stilistischen
Regularität!
Vor
einigen Wochen konnte man auf einem Hinweisschild in einem
österreichischen Zug an der Toilettentür folgende Information
lesen: "Veuillez excuser que le WC est provisoirement hors
service." Abgesehen davon, dass man hier den subjonctif
"soit provisoirement
hors service" (nach excuser)
erwarten könnte, führt der que
- Anschluss in jedem Fall
zu einer völlig unauthentischen Formulierung; es fehlt ein
Objektpronomen und ein de
- Anschluss. Also:
"Veuillez nous excuser du non-fonctionnement provisoire du WC".
Solcherart Beispielen inadäquater grammatisch-stilistischer
Formulierung begegnet man im öffentlichen europäischen Raum zuhauf.
Sind sie damit angesichts der kommunikativen Wende, d. h. des
Durchbruchs in der Französischvermittlung zur Mündlichkeit, eine
quantité négligeable?
Wir
argumentieren hier nicht über Kommunikation und Grammatik auf der
Niveaustufe
Frühbeginn Französisch. Bezogen
auf den schulischen Französischunterricht - zum Beispiel auf
Grundkursniveau - ist eine Orientierung an einer Mindestgrammatik,
wie Albert Raasch sie zuerst im Jahre 1975 veröffentlicht hat
(Raasch 1975), durchaus geboten. Auf dieser Stufe geht es zunächst
ganz entscheidend um die Mitteilungsfähigkeit des
Sprechers / der Sprecherin und nicht um eine möglichst
korrekte, adäquate Beherrschung des Französischen.
Nun
hat der schulische Französischunterricht in Deutschland - wie auch
der Deutschunterricht in Frankreich - mit besorgniserregenden
Rückgangsquoten zu kämpfen. Das Abwahlverhalten der Schüler -
meist beeinflusst durch eine notenfixierte Elternschaft - ist, wie
Christoph Bittner in einer interessanten empirischen Studie (Bittner
2003) dargestellt hat, in erster Linie durch folgendes pauschale
Vorurteil der Schüler und Eltern motiviert: Das Französische sei zu
schwer, und die Noten seien demzufolge zu schlecht. Diese Sprache
mache
uns Schülern und Schülerinnen den Schnitt kaputt (Bittner
2003: 339). Ein Großteil der deutschen Schülergeneration von heute
läuft also Gefahr, die Sprache des Nachbarn, wenn überhaupt, nur
noch auf Anfangsniveau zu beherrschen. Christiane Fäcke bringt es
auf den Punkt, wenn sie in den Neusprachlichen
Mitteilungen -
bezogen auf den gesamtdeutschen Französischunterricht -
konstatiert:
Ein zentrales Problem
des Französischunterrichts heute besteht darin, dass die große
Mehrheit der Schülerinnen und Schüler keine fortgeschrittenen
fremd-sprachlichen Kenntnisse erwirbt, sondern Französisch nach
wenigen Lernjahren abwählt. Nur ein geringer Teil eines Jahrganges
erreicht das Abiturniveau, viele Jugendliche verfügen bereits kurze
Zeit nach Beendigung der Schule kaum noch über elementare
Sprachkenntnisse. (Fäcke 2005: 10)
Wir
sollten nicht die Augen davor verschließen, dass sogar in einem das
Französische privilegierenden Bundesland wie dem Saarland,
trotz aller Initiativen in den Kitas unter Einbezug von
Muttersprachlern, bis 90 Prozent der Schüler und Schülerinnen in
der Erweiterungsphase ab Klasse 10 Englisch im Fremdsprachenkurs
wählen und der Rest Spanisch oder Französisch. Trotz der sehr
erfolgreichen bilingualen Klassen, trotz des
Deutsch-Französischen Gymnasiums, trotz aller Austauschaktivitäten
zwischen deutschen und französischen Schulen bleibt als Befund, dass
nur eine vergleichsweise elitäre Schülerminderheit nach
Schulabschluss in der Republik, letztlich auch im Saarland,
Französisch parlieren kann, wobei man massive Defizite - z. B. in
den Verbformen, um nur einen Aspekt zu nennen - erst gar nicht
bewerten sollte. Somit mag es kaum verwundern, dass folgende Fakten
und Vorurteile heutzutage hier und da in den Bundesländern bereits
salonfähig geworden zu sein scheinen, wie z. B.: Radebrechen auf
Elementarniveau kann man als ausreichend ansehen, die Grammatik muss
entrümpelt oder gar entsorgt werden, eine rigorose Mündlichkeit
ist anzustreben, nur ja nicht demotivieren, was soll das Gerede von
der grammatisch-lexikalischen Adäquatheit und dem
multilingualen Europabürger, was brauchen wir einen möglichst
native-like
schreibenden und sprechenden Französischlehrer, wenn die
entsprechende Population fehlt, weil die deutsche Schüler- und
Elternschaft belastungsempfindlich geworden sind! Diese Einstellung,
diese Schlussfolgerungen, so meinen wir dagegen, sind wenig
hilfreich, sie potenzieren nur das hierzulande sich ausbildende
Bildungs- bzw. Pisa-Notstandssyndrom. Auf das Französische
bezogen, haben wir, vor allem in den Frankreich nahen Bundesländern,
den anderen Weg zu gehen, nämlich das Französische zu fördern,
indem wir eine Didaktik betreiben, die von den Schülern das
möglichst korrekte Sprechen und auch Schreiben in der Fremdsprache
einfordert
und die sie zugleich durch geeignete Unterrichtsformen eine
qualitativ ansprechende Kommunikation in authentischen Situationen
als motivierend und gewinnbringend erleben lässt.
3
Kommunikation mit oder ohne Grammatik
Und
damit kommen wir gezielter auf Hartmut Kleineidams Alternativfrage
aus dem Jahre 1982 zu sprechen: Kommunikation ohne Grammatik oder gar
Grammatik ohne Kommunikation? Natürlich weder das Eine noch das
Andere. Zur Klärung dieser Frage bedarf es hier zunächst einer
globalen Erläuterung des Kommunikationsbegriffs, der sich aus
Lateinisch communicatio
ableitet im Sinne von:
"Mitteilung, Verbindung, Austausch, Verkehr, Umgang."
- Kommunikation ist eine grundlegende Bedingung des Menschseins, sie ist also schlechthin eine existentielle Seinsform des Menschen. Zu einem sinnvollen, erfüllten Dasein braucht der Mensch Kommunikation und somit auch kommunikative Kompetenz.
- Der Kommunikationsbegriff wird von Jürgen Habermas (Habermas 1981) dynamisch gesehen - im Sinne kommunikativen Handelns. Kommunikatives Handeln ist für ihn verständnisorientiertes Handeln.
Verständnisorientiertes
Handeln in der Muttersprache setzt voraus:
1)
die Fähigkeit des Sprechers zu sprechen und zu verstehen, also die
En- und Dekodierfähigkeit des Sprechers und
2)
dass die Lebenswelt der Kommunikationspartner gleich oder doch recht
ähnlich ist, andernfalls kann gegenseitiges Verstehen nicht erreicht
werden.
Verständnisorientiertes
Handeln in der Fremdsprache setzt voraus:
1)
ein ausreichendes Sprachwissen und die Fähigkeit, dieses in
Sprachkönnen umzusetzen. Auf höchster Kompetenzstufe sollte
Sprachkönnen dem Kriterium „authentisch“ angenähert sein, also
dem C2-Niveau des Gemeinsamen
Europäischen
Referenzrahmens
entsprechen.
Verständnisorientiertes Handeln in der Fremdsprache setzt
weiterhin voraus:
2) interkulturelle
Fähigkeiten und Kenntnisse, das heißt die Fähigkeit zur
interkulturellen Kommunikation; interkulturelle Kommunikation basiert
auf der Fähigkeit zur Inbezugsetzung der eigenkulturellen Lebenswelt
zur fremdkulturellen Lebenswelt, zur Auseinandersetzung mit dem
fremden Kulturbereich und zum Verstehen im Sinne von Verständnis für
dessen Repräsentanten. Interkulturelle Kommunikation impliziert also
entscheidend auch Toleranzfähigkeit, die Fähigkeit, das Andere
in dem Eigenen zu sehen und mitzubedenken. Dies ist Vorbedingung für
das, was wir Verständigung
nennen.
Anders
gewendet: Fremdsprachliche Verständigung ist gekoppelt an
kulturelles Verstehen. Beides bedeutet eine Horizonterweiterung für
das Individuum und fördert zusätzlich das Eigenverständnis. Als
Zwischenfazit können wir hier demzufolge zunächst festhalten: Eine
vertiefte Sprachkenntnis,- d.h. vertieftes Sprachkönnen und
interkulturelle Kompetenz, bezogen auf die Fremdsprache - sind
unabdingbare Voraussetzungen zur Kommunikation. Daraus ergibt sich
als Idealperspektive: Fremdsprachenkenntnisse für alle. Dies ist
eine programmatische Forderung in Europa zur Beförderung des
politischen, kulturellen, sozialen Austauschs. Dies in der gebotenen
Kürze zur Frage: Kommunikation, was ist das? Welche Implikationen
hat sie für die Fremdsprache?
In
diesem Argumentationszusammenhang ergibt sich eine zweite,
spezifische Frage zur Rolle der Grammatik in der Ausbildung der
Kommunikationsfähigkeit im Französischen. Auch hier muss man den
Perspektivenfächer weiter aufmachen. Die Tendenz heute ist, wie
wir sahen, die Grammatiklastigkeit im Französischen abzubauen
und die Kommunikationsorientierung zu stärken. Dem kann durchaus
voll zugestimmt werden, aber die von so manchem Fachvertreter
gestellte Forderung nach Totalvernachlässigung der Grammatik ist aus
unserer Sicht höchst anfechtbar. Ein entschiedener Verfechter des
Abbaus der expliziten Grammatik zu Gunsten der kompromisslosen
Kommunikationsorientierung des Französischen ist Reinhold
Freudenstein. In seinem bereits genannten Beitrag im Mitteilungsblatt
116 des Fachverbandes
Moderne Fremdsprachen Saar
vom November 2003 sagt Freudenstein auch Folgendes: Es bestehe eine
Diskrepanz zwischen schulischen Rahmenrichtlinien und Lehrplänen, in
denen die kommunikative Kompetenz als übergreifendes Lernziel
definiert ist, und dem universitären Französischstudium, in
dem die Sprachpraxis an letzter Stelle stehe, (was unserer
Beobachtung nach in dieser Überspitzung nicht zutreffend ist).
Außerdem, so Freudenstein weiter, mache die
Grammatikvermittlung in den Schulen vielfach 40-60% des
Sprachunterrichts aus. Das sagte bereits Günther Zimmermann in
seinen Erkundungen zur
Praxis des Grammatikunterrichts
(1984). Nun erhebt Freudenstein die Forderung nach einem absoluten
Verzicht auf Grammatik und fordert zugleich eine radikale Wende
beim schulischen Lehren und Lernen fremder Sprachen, so auch des
Französischen (Freudenstein 2003: 79). Seine Vorbedingungen für ein
alternatives Konzept lauten:
- Fremdsprachenunterricht in der Vor- und Grundschule von Anfang an; der Frühbeginn sei der erfolgreichste Weg zu einem grammatiklosen Spracherwerb. Dem ist voll zuzustimmen.
- Muttersprachler als Lehrer so oft wie möglich einsetzen. Dem kann man ebenfalls zustimmen.
- Der Spracherwerb vor Ort muss gefördert werden, mittels Austausch, Besuchs- oder Studienprogrammen in Frankreich. Es müssen noch mehr bilinguale Klassen eingerichtet werden, in denen Fachunterricht in der Fremdsprache vermittelt wird. Hierzu ist festzustellen, dass eine Reihe von Bundesländern hier bereits große Anstrengungen unternehmen. Andererseits mutet Freudensteins Vision der Verpflanzung von ganzen Schulklassen für ein Jahr nach Frankreich wegen organisatorischer und finanzieller Barrieren noch reichlich idealistisch an. Aber sein Vorschlag ist sicherlich zukunftsweisend, und das Saarland wird mit seiner Frankreichstrategie diesen Weg massiv beschreiten müssen.
Grammatikunterricht
sei, so
Freudenstein, zu zeitaufwendig und müsse deswegen abgeschafft
werden. Er führe am Gymnasium, in der Gemeinschaftsschule und
in der Realschule zur Abwahl der Sprache. Grammatik töte die
Motivation. Die Untersuchung von Christoph Bittner kommt hier
allerdings zu einem ganz anderen Ergebnis:
Ist es zutreffend, dass
ein sehr hoher Stellenwert der Grammatikvermittlung zur Folge hat,
dass überdurchschnittlich viele Schülerinnen und Schüler die
Motivation zum Weiterlernen verlieren? Die Antwort der Schüler ist
ein entschiedenes 'nein'. (Bittner 2003: 345)
Aber
Bittner sagt auch zu Recht:
Ein Ziel im
kommunikativen Französischunterricht besteht zweifelsohne darin,
daß der Anteil der Grammatik im Französischunterricht nicht die
stärker kommunikativ ausgerichteten Bestandteile wie beispielsweise
das Sprechen verdrängen darf. (Bittner 2003: 349)
Die
Radikalität des Freudensteinschen Ansatzes einer Totalverbannung der
Regelgrammatik aus dem Fremdsprachenunterricht Französisch haben
sich nicht wenige Fachvertreter zu eigen gemacht. An dieser Stelle
sei ein exemplarischer Überblick über die Argumente gestattet, die
nach einer Jahrzehnte währenden Grundsatzdiskussion derzeit über
die Rolle der Grammatik im Französischunterricht im Raume
stehen.
In
einer Streitschrift hatte sich ein mit
Aliusque idem bezeichnender
Autor im Jahre 1986 in Anlehnung an die berühmte Streitschrift von
Wilhelm Vietor, Der
Sprachunterricht muss umkehren (1882),
darüber beklagt, dass der Durchbruch zur Mündlichkeit an den
Schulen nicht vollzogen und die Grammatik im Fremdsprachenunterricht
völlig überrepräsentiert sei, und dies - so die Meinung des Autors
- obwohl das Sprachwissen, insbesondere das Grammatikwissen, keinen
Einfluss auf das Sprachkönnen habe. Grammatik sei ein linguistisches
Fach und könne nicht Bestandteil des Spracherwerbs und damit des
Sprachunterrichts sein (Aliusque idem 1986: 51). Reinhold
Freudenstein wurde im Namen etlicher Sprachdidaktiker zu einem
glühenden Verfechter der intuitiven Methode eines nicht-expliziten
Grammatikerwerbs in der Fremdsprache und wurde es nicht müde, dem
von der Regelgrammatik befreiten, gesteuerten Französischerwerb das
Wort zu reden (Freudenstein 1999), und dies mit zum Teil
missionarischer Verve, wenn er verkündet:
Sprachenlernen ist
eigentlich relativ einfach, wenn man es nicht künstlich
kompliziert, z.B. durch grammatische Regeln oder metasprachliche
Terminologie. Ich fände es darum schön, wenn Sprachenlernende, die
sich in zwei oder drei Sprachen komfortabel ‚zu Hause’
fühlen, künftig über ihre Lehrerfahrungen in der Schule sagen
könnten: ‚Grammatik - was ist denn das?’“. (Freudenstein 2000:
64)
Demgegenüber
bekennt sich Claus Gnutzmann in seinem Beitrag zu den allgemeinen
Lernzielen des schulischen Grammatikunterrichts sowohl zum Lernziel
"spontane mündliche Kommunikationsfähigkeit" als auch zu
der Notwendigkeit einer „pragmatischen – instrumentellen“
Zielsetzung, das heißt zu der Grundposition, dass die Kenntnis
und Verfügbarkeit des grammatischen Regelsystems der Zielsprache
eine unabdingbare Voraussetzung für mündliche und schriftliche
Kommunikation ist (Gnutzmann 2000: 74 ff). Desgleichen hat Marcus
Reinfried in seinem Hauptvortrag auf dem Sächsischen
Französischlehrertag 1998 in Dresden trotz seines engagierten
Plädoyers für mehr Handlungsorientierung (z.B. Außenprojekte,
Gruppenarbeit, Rollenspiele) und für mehr Lernerzentrierung (z.B.
Freiarbeit oder aktive Beteiligung der Lernenden am Unterrichtsstoff)
seine Überzeugung nachdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass
Grammatik im Fremdsprachenunterricht Französisch ohne Zweifel
explizit betrieben
werden muss, auch wenn davon auszugehen ist, dass ein gewisses Maß
an Formen und Strukturen von den Lernenden auch ohne
Bewusstmachung erworben würde (Reinfried 1999: 341). Wir
verweisen hier ausdrücklich auf den engagierten Beitrag von Armin
Volkmar Wernsing („Warum Französisch auf der roten Liste steht“),
der das klar ausspricht, was so viele Französischlehrende aller
Lernstufen im persönlichen Fachgespräch deutlich artikulieren:
Jawohl, das
Französische ist ein Arbeitsfach. Es ist keine Schande, das
zuzugestehen, es ist vielmehr ein Fehler zu behaupten, der
Spracherwerb sei nahezu mühelos. (Englisch ist auch schwierig,
bloß, da merkt man es erst später)" (Wernsing 2000: 201).
Wie
verhält es sich nun in der Realität mit den Französischkenntnissen
bei Lernern des weiterführenden Bildungssystems, insbesondere auch
bei Abiturienten? Der Befund ist hier ein zweifacher:
- Die Fähigkeit zur mündlichen Kommunikation ist vorhanden (man kann "bavardieren"), aber dies mit einer rasant gestiegenen grammatischen Fehlerquote. Man kommuniziert, aber man ist weit entfernt von korrektem, authentischem Sprechen. Diese Tendenz, meinen wir, entspricht nicht dem Bedarf an qualifizierter Fremdsprachenkompetenz in Europa.
- Die Verwertbarkeit des vermittelten Sprachkönnens in der Praxis wird von Seiten der Wirtschaft, der Unternehmen, der Gebietskörperschaften weitgehend vermisst. Demgegenüber steht die Forderung nach mehr Praxisbezug. Der schulische Fremdsprachenunterricht basiere zu einseitig auf Textanalyse und lasse zu viel unqualifizierte, grammatisch, lexikalisch und idiomatisch fehlerhafte Kommunikation zu.
In
einfacheren wie auch komplexeren Berufsfeldern, vor allem auch auf
dem Dienstleistungssektor, werden nun aber in unserem globalisierten
Europa folgende Fähigkeiten erwartet:
- In der Fremdsprache strategisch und differenziert verhandeln können unter Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Gegebenheiten des Ziellandes; d.h. also, mehr interkulturelle Handlungsfähigkeit wird eingefordert.
- Sich mündlich und schriftlich annähernd adäquat äußern können, was vor allem auch impliziert, die mündlich und schriftsprachlich adäquate grammatische Norm anwenden können, auch in E-Mails und Faxen.
- Verhandlungen oder Sachverhalte zusammenfassen, dokumentieren und grammatisch weitgehend korrekt formulieren können, womit eine verstärkte Schreibschulung, eine Befähigung zur communication écrite eingefordert wird.
Also
grundsätzlich: Im neuen Jahrtausend haben wir es in Bezug auf
Fremdsprachenkompetenz mit veränderten Rahmenbedingungen zu
tun, was sich auch in der Niveaudifferenzierung des Gemeinsamen
europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR),
Niveau A-C, widerspiegelt. In Bezug auf grammatische Korrektheit auf
dem Niveau C1 / C2 wird vom Referenzrahmen vorausgesetzt:
Kann beständig ein
hohes Maß an grammatischer Korrektheit beibehalten. Fehler sind
selten und fallen kaum auf.
(GeR
2001: 114)
Oder:
Zeigt auch bei der
Verwendung komplexer Sprachmittel eine durchgehende Beherrschung
der Grammatik, selbst wenn die Aufmerksamkeit anderweitig
beansprucht wird... (GER
2001: 114)
Auf
die sprachpolitischen und ökonomischen Veränderungen in Europa und
der Welt soll hier im Einzelnen nicht eingegangen werden; Fakt ist,
dass die Beherrschung einer - wenn nicht mehrerer - Fremdsprache(n)
eine grundlegende Voraussetzung zur Durchsetzung eines
politischen Konzepts, der Einigung Europas, geworden ist und zugleich
zur Schlüsselqualifikation avancierte, um Zugang zu finden zur
kollektiven Mentalität des Nachbarn, des Anderen, des
Geschäftspartners; um Beschäftigung und Mobilität zu fördern und
um die Verständigung der europäischen Bürger untereinander zu
befördern. Das Stichwort war und ist weiterhin: Mehrsprachigkeit, im
Sinne der Forderung nach Dreisprachigkeit eines jeden
europäischen Bürgers.
Daraus
ergibt sich als Fazit in Bezug auf die französische Sprache: Neben
dem Englischen ist das Französische in sprachpolitischer und
ökonomischer Hinsicht von immer noch nicht zu unterschätzender
Wichtigkeit. In Bezug auf das Fach Französisch in den Schulen
kämpfen wir jedoch gegen die desolate Tendenz zur Abwahl dieser
Fremdsprache. Ist in dieser Situation Grammatiklernen nicht
ausgesprochen kontraproduktiv? Muss die Kommunikationsfähigkeit
(auch ohne Grammatik) zur Verbesserung der Akzeptanz bei den Lernern
nicht noch deutlicher in den Vordergrund gerückt werden? Muss das
traditionell als mehr oder weniger entbehrlich geltende Übel einer
expliziten Grammatikvermittlung nicht durch eine implizite Grammatik
im Rahmen eines situativ eingebetteten, handlungsorientierten
Fremdsprachenunterrichts ersetzt werden, wie Freudenstein es
fordert?
An
dieser Stelle sollen thesenartig entscheidende Gegenargumente ins
Feld geführt werden: Grammatik und Kommunikation sind komplementär.
Kommunikationstraining ohne Grammatik bzw. mit weitgehend
impliziter Grammatik macht den Fremdsprachenunterricht unökonomisch
und ineffizient, vor allem in Bezug auf das Französische. Die neuere
Forschung, so in Börner & Vogel (2002), insistiert, hinsichtlich
des Französischen, auf die notwendige Integration von sprachlichem
Wissen und Sprachkönnen. Explizites Wissen und sprachliches Können
werden nicht mehr voneinander getrennt gesehen, wie noch bis in die
1990er Jahre (Dethloff 2008: 185). Fremdsprachliches Wissen, dessen
Aneignung und Vertiefung, bedeuten aber Anstrengung und
kognitive Belastung. Dies gilt insbesondere auch für die Aneignung
von Morphologie und Syntax des Französischen. Die Annahme, dass der
Erwerb der französischen Grammatik implizit, d.h. allein
durch die Behandlung interessanter Themen oder Texte oder durch
Kommunizieren in der Fremdsprache gelingt, ist nur dann zutreffend,
wenn der Lernende Französisch mittels Frühbeginn und im Anschluss
an diesen durchgängig weiter studiert oder in frankophonem Kontext
praktiziert. Dies ist für die Mehrheit der Französischlernenden
nicht - noch nicht - vorauszusetzen. Man unterschätze deshalb nicht
die Rolle der Sprachbewusstheit (der language
awareness) bei der
Erlernung der französischen Sprache mit ihren spezifischen
Strukturen, und grammatische Inkorrektheit ist im Französischen mehr
als vielleicht in anderen Sprachen eminent
kommunikationsstörend.
Auf
fortgeschrittenem und professionellem Niveau ist es mit einer
Minimalgrammatik nicht getan. Sie entspricht nicht der
Voraussetzungssituation der deutsch-französischen Kommunikation.
Eine Grammatik des Französischen auf C1- und C2-Niveau muss so weit
wie möglich komplett sein und die Komplexität des Französischen in
Syntax und Morphologie darlegen; und diese bitte nicht didaktisch
komplett reduzieren oder minimalisieren. Der Französisch-lernende
hat sich der französischen Grammatik zu stellen. Unser Motto hat zu
sein: Man muss den Lerner fördern und fordern, ermutigen und
insistieren, um ihn zu motivieren. Oder wie Armin Volkmar
Wernsing treffend formuliert:
Wir Lehrer brauchen den
Mut, fröhlich zu fordern. Das entbindet die Politik nicht von der
Pflicht, vernünftige Rahmenbedingen bereitzustellen. (Wernsing 2000:
202)
Auf
fortgeschrittenem Niveau, besonders auch im beruflichen Bereich, gilt
für das Französische, dass nur (auch grammatisch) weitgehend
korrektes Sprechen und Schreiben in der Zielsprache eine ausreichende
sprachliche Elaboriertheit und somit eine effiziente Kommunikation
gewährleistet. Oder pointiert formuliert: In der beruflichen
Kommunikation trägt neben interkultureller Kompetenz auch die
korrekte und nuancierte Verwendung des subjonctif
dazu bei, gegenseitige Akzeptanz zu fördern, Vertrauen zwischen
den Kommunikationspartnern aufzubauen und somit Verhandlungserfolge
zu erzielen. Eklatante Defizite in Morphologie und Syntax hingegen
werden von frankophonen
Gesprächs- oder Verhandlungspartnern als unangenehm empfunden. Sie
sind also letztlich potentiell kommunikationsfeindlich und
geschäftsbehindernd.
4
Grammatik ja – aber wie viel und wie?
Hier
am Ende unserer Ausführungen noch einige allgemeine Überlegungen
zur Frage, wie viel Grammatik der Französischlernende benötigt und
wie Grammatikerwerb und Grammatikvermittlung optimiert werden
können.
Zur
ersten Frage: Der Französischlernende braucht so viel Grammatik,
dass seine Aussagen verstanden werden und dass sie der Gebrauchsnorm
im Standardfranzösischen entsprechen und insoweit für den
französischen Gesprächspartner einigermaßen authentisch wirken.
Der Lernende braucht so viel Grammatikkenntnisse, dass er bei
der Sprachrezeption und -produktion zwischen der grammaire
du français parlé und
der grammaire du
français écrit
differenzieren kann.
Zur
zweiten Frage der Fixierung und Optimierung von Grammatikkenntnissen
und Grammatikkönnen: Hier geht nichts ohne explizites Lernen mittels
systematischer Regeldarlegung und Regelaneignung durch
explizites Üben oder in Form von grammaire
occasionnelle bei der
Textarbeit. Wir plädieren hier also ausdrücklich für eine
Aufwertung des Lernens und für die Einforderung der kognitiven
Belastung, ohne die z.B. die Formenlehre des Französischen nicht zu
bewältigen ist. Zu Recht hat Dirk Siepmann in seinem
Einführungsbeitrag zum von ihm herausgegebenen Band zum Thema
Wortschatz und
Fremdsprachenlernen
in Anlehnung an Franz-Josef Hausmann betont, dass das größte
didaktische Problem des Fremdsprachenunterrichts der unübersehbare
Wortschatz in der Fremdsprache ist (Siepmann 2006: 7). Dies
impliziert also tröstlicherweise: Die Grammatik des Französischen,
so komplex und formal ausdifferenziert sie auch sein mag, ist
letztlich doch überschaubar und endlich.
In
den letzten Jahren hat die Methode des chunking
zur Steuerung von Lernprozessen, gerade auch im Bereich der
französischen Grammatik, an Bedeutung gewonnen (Handwerker 2002;
Handwerker & Madlener 2009). Chunks
('Klumpen') sind hier Syntagmen, die als vorgefertigte Versatzstücke
grammatische Regularitäten illustrieren und auch als solche
gespeichert werden. Chunking
habe ich persönlich als Methode der Grammatikvermittlung im
Grundstudium Französisch an der Universität des Saarlandes als
ausgesprochen effiziente Lehr- und Lernmethode erfahren und
verwendet. Chunking
ist Regellernen durch Beispiellernen, also:
Je n’ose pas le
contredire (Infinitiv)
J’ai
besoin d’argent. Il me faut de l’argent. (Partitiv)
Peut-être
arrivera-t-il plus tôt (Inversion)
J’ai entendu parler
de lui - Ich habe von ihm gehört.
Le
peintre dont je connais bien les tableaux (… dessen Bilder ich gut
kenne (Interferenzproblematik))
Dieses
Regellernen durch Beispiellernen ist zwar keine neue Methode; es
findet aber heutzutage verstärkt Anwendung in der modernen
Sprachlernsoftware für das Selbststudium. So z.B. im
Grammatiktrainer français
(2006), den digital
publishing auf den Markt
gebracht hat und der auf der Basis von Chunk-Sammlungen mit
unterstützenden Begleitregeln konzipiert ist. Ein dem chunking
ähnliches Vorgehen schlägt auch Wolfgang Butzkamm (2003) vor, wenn
er für den Grammatikerwerb fordert, Regeln stets mit Mustersätzen
zu verzahnen, d. h. über Wortverbindungen und Kollokationen die
Grammatik gleich mitzulernen. Auch Krista Segermann (2012: 63 und
passim) geht mit ihrem Ansatz davon aus, dass man mit dem von ihr
propagierten Bausteinprinzip an Stelle des Trainings von
grammatischer Regelanwendung das Kombinieren von Bausteinen, d.h. von
fertigen lexiko-grammatischen Einheiten, mit denen man Sätze bauen
kann, trainiert.
5
Schlussfolgerungen
- Französische Grammatik ist kein Selbstzweck, sondern sie hat eine eminent wichtige unterstützende Funktion bei der Ausbildung einer authentischen Kommunikationskompetenz.
- Ein Sprachunterricht ohne jede explizite Grammatik funktioniert nur im Rahmen eines Lernprozesses ab Frühbeginn. Grammatik ist kein entbehrliches Übel, sondern unverzichtbares Medium beim Erwerb eines Regelwissens und von dessen Umsetzung in Regelanwendung in der französischen Kommunikation.
- Der Durchbruch zur Mündlichkeit bedeutet nicht Mündlichkeit ohne Grammatik, sondern Mündlichkeit auch als spontanes Training der Regelhaftigkeit der Fremdsprache. Fremdsprachlicher Dilettantismus darf, so meinen wir, keine Zukunft haben, gerade auch, wenn man das löbliche Ziel der Zweisprachigkeit im Saarland verfolgt.
In
diesem Sinne hat Hartmut Kleineidam 1982 klar Stellung bezogen:
Grammatik ohne
Kommunikation [...] stellt kein angemessenes Lernziel für den FU
dar. Kommunikation ohne Grammatik […] macht den FU unökonomisch
und weitgehend ineffizient. (Kleineidam 1982: 111).
Diese
Einsicht hat auch dreißig Jahre später noch Bestand. Man muss sich
ja nicht so weit von seiner Verve mitreißen lassen wie Wolfgang
Butzkamm, der sich am Schluss seines zitierten Artikels zu einer
begeisterten sprachphilosophischen Laudatio auf die Grammatik
hinreißen lässt:
Ein Bewusstsein der
Verschiedenheit von Sprachen führt auch zu Einsichten in die
tiefliegenden Gemeinsamkeiten der Sprachen und des Menschen.
Schließlich ist es die Grammatik, durch die sich der Mensch nicht
nur graduell, sondern prinzipiell vom Affen unterscheidet. Denn sie
bringt uns die Freiheit des Denkens. (Butzkamm 2003: 286)
Man
ist geneigt zu meinen, dass hier jemand über das Ziel hinausschießt.
Aber irgendwie tut diese Einschätzung einem Grammatikapologeten gut.
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