Grammatik
„à la carte“ -
Fallstudie:
der französische Konjunktiv
Albert
Barrera-Vidal (Lüttich, Belgien)
Abstract
In dem
vorliegenden Beitrag wird eine Fallstudie zu einem wichtigen Kapitel
der französischen Grammatik durchgeführt: dem subjonctif.
In dieser Studie geht es prioritär um die Frage, wie notwendig es
ist, diesen Modus in der Schule zu unterrichten. Bei aller
Bewusstheit hinsichtlich der Notwendigkeit von Grammatik und
Grammatikunterricht wird hier die Position vertreten, dass
Grammatik zu einer Erleichterung der Aneignung des betreffenden
Fremdsprache beitragen soll. Ein Weg hin zu diesem Ziel führt über
eine Reduktion des Eindrucks der Fremdartigkeit der zu vermittelnden
Sprache beim Lerner. Vor diesem Hintergrund werden die
morphologischen Besonderheiten des subjonctif
und seine prinzipielle Kontextabhängigkeit dargestellt. Auf dieser
Basis werden Umgehungsstrategien beschrieben, mit deren Hilfe
der Indikativ funktionsäquivalent zum subjonctif
verwendet werden kann und die auch von Muttersprachlern verwendet
werden. Auf der Grundlage dieser Strategien wird für eine in frühen
Lernstadien des Französischen anzuvisierende, rezeptive
Vermittlung des subjonctif
plädiert, die später immer mehr in eine produktive Vermittlung
übergehen kann.
1
Von der Notwendigkeit der Grammatik und des Grammatikunterrichts
1.1
Historische Dimension
Alles
bekanntlich ändert sich, und Veränderungen gehören nun Mal zum
Leben oder, wie Wolfgang von Goethe gesagt haben soll, „… wer
lebt, muss auf Wandel gefasst sein.“
Auch
die Didaktik ist, gelinde ausgedrückt, ist nicht ganz frei von
Veränderungen, die manche etwas spöttisch als „Modeströmungen“
bezeichnen. Aber wie der französische Diplomat Talleyrand sagte:
„Tout ce qui est excessif est insignifiant“, also „Alles
Übertriebene ist bedeutungslos“: Die Bezeichnung Modeströmungen
suggeriert Neuheiten, die man nur mitmacht, um „in“ zu bleiben
und nicht, weil diese interessante Aspekte bringen, die man bisher
wenig beachtet hat. Novitäten um der Novität willen also.
Da
schiene die Bezeichnung Etappe geeigneter, da sie einen
dynamischen Prozess und eine Richtung voraussetzt: Es ist eine
Etappe auf dem Weg zu einem Ziel.
Denken
wir also an einige der wichtigsten Etappen des fremdsprachlichen
Unterrichts, die viele von uns aus nächster Nähe miterlebt
haben. In ihnen wurden jeweils bestimmte Aspekte in den Vordergrund
gestellt:
- Die ältere Grammatik-Übersetzungs-Methode, stark am altsprachlichen Unterricht orientiert, auf die manche Lehrer noch heute häufig instinktiv (vielleicht aus Bequemlichkeit) zurückgreifen, daher auch schlicht Schulgrammatik genannt,
- Die direkte Methode, die zur sogenannten „Reformbewegung“ gehörte, in der die Muttersprache strikt vermieden wurde (auch als „Berlitz-Methode“ bekannt1),
- Die audiovisuelle, global-strukturelle Methode (z.B. „Voix et Images de France“), die wie die audiolinguale Methode linguistisch und lernpsychologisch auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhte und auf die Herausbildung von Automatismen in Form von Satzmustern (patterns) ausgerichtet war,
- Die sogenannte vermittelnde Methode, die einen Kompromiss zwischen diesen modernen Ansätzen und der Grammatik-Übersetzungs-Methode suchte,
- Die kommunikative Methode, die die Kommunikative Kompetenz als zentrales Lernziel in den Vordergrund stellte,
- Die Berücksichtigung neuer Gesichtspunkte, wie Handlungsorientierung, Lernorientierung, Konstruktivismus,
- und vieles mehr…
In
diesem Punkt können wir durchaus die didaktische Forschung mit der
Pharmaforschung vergleichen. Zwischen ihnen besteht in der Tat
eine gewisse Parallele: Eine brauchbare Didaktik soll nicht nur
die Lernziele bestimmen sowie die besten Methoden, um sie zu
erreichen. Sie soll auch dazu beitragen, das Lernen überhaupt zu
erleichtern, und im Falle von auftretenden Problemen Lösungen zur
Verfügung stellen. So wie die Didaktik im Dienste der Lerner steht,
so soll ihrerseits die Pharmazie dem Patienten helfen. Um die
Gesundheit der Lebewesen (Menschen und Tiere) zu erhalten oder
wiederherzustellen werden, in der Pharmazeutik ständig neue
Arzneimittel entwickelt. Dieser durchaus begrüßenswerte
Fortschritt hindert allerdings nicht daran, dass alte, jedoch
bewährte Medikamente nach wie vor verwendet werden. Man nehme
beispielsweise Aspirin, Morphin oder Insulin, die heute vom
Medikamenten-Arsenal immer noch nicht wegzudenken sind, obwohl
inzwischen ganz neue Medikamente auf dem Markt sind und zur Verfügung
stehen.
Zeitgemäß
denken und handeln zu wollen, ist also durchaus verständlich -
vorausgesetzt, dass diese Vorgehensweise nicht zur ständigen
Suche nach Neuheiten um jeden Preis wird, so dass ältere,
bewährte Erkenntnisse und Erfahrungen einfach „weggeworfen“
werden, weil sie als „altmodisch“ und daher überholt gelten.
Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht den berühmten Satz des
französischen Schriftstellers Jean Cocteau: „La mode, c’est ce
qui se démode“ ('Die Mode kommt aus der Mode'). Man könnte ihn
leicht auf die Geschichte der modernen Fremdsprachendidaktik
anwenden. So galt bei zahlreichen Anhängern moderner Ansätze
Grammatikunterricht einfach als überholt.
Mit
Hartmut Kleineidam, der mit seiner in Zusammenarbeit mit unserem
gemeinsamen Lehrer Hans-Wilhelm Klein verfassten Grammatik
des heutigen Französisch
(Klein & Kleineidam 1983) dazu beitrug, dass die „moderne
Angewandte Sprachwissenschaft Einzug in die deutsche Schul- und
Studiengrammatik des Französischen hielt“
(Wikipedia
2014), waren wir hingegen davon überzeugt, dass auch bei neueren
Modellen Grammatikunterricht einfach unerlässlich sei. Freilich
nicht als normative Disziplin, so wie seit dem Altertum üblich, und
auch nicht als systematische, rein formale und leblose
Grammatikunterweisung, sondern als integrierter, funktionaler
Grammatikunterricht, basierend auf der deskriptiven Grammatik, also
auf der Realität der lebendigen Sprache.
Als
Fazit können wir festhalten: Zwar mögen je nach dem didaktischen
Modell Stellenwert und Funktion des Grammatikunterrichts stark
variieren, aber die Grammatik und ihre Beherrschung bleiben nach wie
vor fester Bestandteil und Grundlage der angestrebten Kompetenzen.
1.2
Beherrschung der wichtigsten grammatischen Strukturen
Dieses
Prinzip wird voll von den neueren Prüfungsverfahren bestätigt, in
denen auf die Beherrschung der wichtigsten grammatischen Strukturen
großer Wert gelegt wird. Dies ist zum Beispiel der Fall bei den
offiziellen Zertifikaten DELF (Diplôme d’études en langue
française) und DALF (Diplôme approfondi de langue
française).
In
diesem Sinne brachten einige Freunde von Hartmut Kleineidam nach
seinem Tod einen Sammelband unter dem programmatischen Titel
„Grammatica vivat“ heraus, der ihm gewidmet war.
Grammatica vivat, also „Es lebe die Grammatik“ bzw. „Vive la
grammaire“, womit wir beim zentralen Thema dieses Beitrages wären:
dem Konjunktiv.
Hartmut
Kleineidam und ich hatten gemeinsame wissenschaftliche Interessen und
Einstellungen, unter anderen die gleiche Auffassung der Relation von
linguistischer Beschreibung und sprachlicher Realität sowie die
Anerkennung der Wichtigkeit der didaktischen Dimension. Die im Sinne
der Angewandten Linguistik verstandene Grammatik soll sich nicht
auf die bloße Darstellung und theoretische Erklärung
beschränken, sondern auch dazu beitragen, den Erwerb der
Fremdsprache zu erleichtern.
Der
vorliegende Beitrag, der unter diesem gemeinsamen Zeichen steht, soll
gerade diese Gemeinschaft unterstreichen.
1.3
Die Fremdsprache - eine Sprache, die dem Lerner zunächst
grundsätzlich
fremd
ist
Die
Didaktik des muttersprachlichen Unterrichts und die Didaktik der
Fremdsprache (hier: Französisch) können voneinander lernen -
vorausgesetzt, dass dabei die Spezifität der Fremdsprachendidaktik
nicht außer Acht gelassen wird. Dies gilt zum Beispiel für die
sprachliche und kulturelle Fremdheit. Dies gilt ebenfalls im
Französischen, wo étranger ('fremd') etymologisch und
semantisch mit étrange ('unheimlich') in Relation steht. Im
Gegensatz zur Muttersprache ist die Fremdsprache eine Sprache, die
dem Lerner zunächst grundsätzlich fremd ist. Hier wirkt das
Adjektiv fremd außerdem negativ, irgendwie bedrohlich:
Erinnern wir uns zum Beispiel daran, dass im Deutschen die
Bezeichnung „Fremdarbeiter“ durch „Gastarbeiter“ ersetzt
wurde - ein Wort, das freundlicher wirkte. Daher besteht eines der
Ziele einer wohlverstandenen fremdsprachlichen Didaktik darin,
dass die Fremdsprache zum Schluss für die Lerner weniger fremd ist.
Es geht also darum, der erworbenen Fremdsprache viel von ihrer
Fremdartigkeit (étrangeté) zu nehmen.
1.4
Linearität von Sprache
Wir
können davon ausgehen, dass sprachliche Produktion grundsätzlich
linear verläuft:
Le
langage est donc vu comme une succession d’événements, le choix
d’un segment étant déterminé par le segment qui précède.
Autrement dit, en un point de la chaîne parlée, le choix entre
différents éléments est variable, mais relativement déterminé
par ce qui précède. (Dubois 1969: 45)
Daher
die linguistischen Restriktionen, die Muttersprachler im Allgemeinen
spontan und unbewusst beachten, die aber im Falle des Erlernens einer
Fremdsprache natürlich gesondert erworben werden müssen.
Dabei
geht es um lexikalisch-semantische Einschränkungen, aber auch um
syntaktische. Und dieser zweite Fall betrifft logischerweise die
Grammatik.
2
Vermittlung des Konjunktivs
2.1
Eine terminologische Frage
Ohne
das Primat der Synchronie zu brechen, können wir darauf hinweisen,
dass das Deutsche und das Französische über ein gemeinsames
indoeuropäisches Erbe verfügen, das den Erwerb des
Französischen durch Deutsche erleichtert (und selbstverständlich
auch umgekehrt). So kennen beide Sprachen die Unterscheidung
zwischen Haupt- und Nebensätzen sowie zwischen Indikativ und
Konjunktiv.
In
beiden Sprachen erscheint der Indikativ immer als merkmallos (nicht
markiert): Er wird durch einfachere morphologische Mittel
ausgedrückt, wird von den Muttersprachlern früher als der
merkmalhaltige Konjunktiv erworben und ist frequenzstärker. Er wird
sowohl in Haupt- wie in Nebensätzen verwendet. Hingegen erscheint
der französische Konjunktiv so gut wie ausschließlich in
Nebensätzen, auch que-Sätzen genannt. Diese Besonderheit
kann bereits als ein erstes Unterscheidungsmerkmal betrachtet werden.
Für
einen deutschsprachigen Lerner des Französischen ist jedoch die
Bezeichnung „Konjunktiv“ etwas irreführend, da deutscher
Konjunktiv und französischer Konjunktiv etwas Anderes bedeuten
und vor allem ganz anders funktionieren. Da wo zum Beispiel der
Deutsche sagt: „Er sagt, er sei nicht zuständig“
verwendet der Franzose den Indikativ: „Il dit qu’il n’est
pas compétent“.
Die
Bezeichnung „Subjunktiv“ wäre daher logischer, da sie betont,
dass dieser Modus so gut wie ausschließlich in subordinierten
(= untergeordneten) Sätzen Verwendung findet. Hier spricht man auch
von Hypotaxe.
Dennoch
verhalten sich deutscher und französischer Konjunktiv zum Ausdruck
des Wunsches (Optativfunktion) sehr ähnlich. Man denke etwa an Sätze
wie Es werde Licht, Que la lumière soit. Aber solche
Fälle kommen relativ selten vor.
2.2
Morphologische Besonderheiten des Subjunktivs
Heute
beschränkt sich das Paradigma des Subjunktivs in der Praxis auf das
Präsens (subjonctiv présent) sowie auf das Perfekt
(subjonctif passé) und das Plusquamperfekt
(plus-que-parfait du subjonctif).
Das
Imperfekt des Subjunktivs (subjonctiv imparfait) führt nur
noch eine virtuelle Existenz, aus der es gelegentlich für nicht
immer geistreiche Wortspiele herausgeholt wird (zum Beispiel: „Il
eût fallu que je le susse“).
Im
Prinzip unterscheidet sich der Subjunktiv morphologisch als
markierter Modus vom Indikativ - besonders in der dritten, recht
heterogenen Verbgruppe, in der sich sämtliche unregelmäßige Verben
befinden. Diese Verben sind nicht sehr zahlreich, aber dafür werden
sie besonders häufig verwendet. Dazu gehören etwa avoir,
être, dire oder auch
faire.
Auch
in den Verben der 2. regelmäßigen Gruppe (auf -ir)
unterscheiden sich die Formen des Subjunktivs ganz deutlich vom
Indikativ.
In
der ersten Gruppe auf -er hingegen unterscheiden nur die 1.
Person und 2. Person Plural zwischen Indikativ und Subjunktiv.
In
zwei Sätzen wie
J’aimerais
qu’il travaille bien. (Subjunktiv)
und
Je sais qu’il travaille bien.
(Indikativ)
wird
der Unterschied zwischen beiden Modi morphologisch überhaupt nicht
signalisiert. Dabei darf man nicht vergessen, dass die erste
Konjugation etwa neun Zehntel aller französischen Verben umfasst!
Dies bedeutet, dass der Subjunktiv sich in den meisten Fällen
morphologisch nicht klar vom Indikativ unterscheidet.
2.3
Kontextabhängigkeit des Subjunktivs
Es
kann hier nicht darum gehen, das Thema „Subjunktiv“ erschöpfend
zu behandeln, da ein solches Vorhaben den Rahmen eines einzelnen
Aufsatzes sprengen würde. Zahlreiche sprachwissenschaftliche
Abhandlungen (z.B. Cohen 1965 und Schifko 1967) sind dieser Thematik
gewidmet worden: Hier geht es nicht um eine exhaustive Darstellung,
sondern um die Zusammenstellung der wichtigsten Punkte und deren
didaktische Konsequenzen.
Der
Kontext - besonders in der Hypotaxe, in der in der Regel dem
Indikativ eine Eröffnungsfunktion zukommt - übt einen mehr oder
weniger starken Einfluss auf die Wahl gewisser verbaler Formen aus.
Er macht also die Verwendung einer Form äußerst wahrscheinlich, ja
so gut wie obligatorisch. Dieser Automatismus stellt auf der einen
Seite eine Entlastung des Gedächtnisses dar, aber der Sprecher muss
dafür den jeweiligen Kontext memorieren!
Im
Falle des Subjunktivs sind drei Fälle genau zu unterscheiden:
Fall
A:
Unter
den darauf folgenden Modi erfordert der Kontext den Indikativ und
schließt somit den Subjunktiv aus. Hier spricht man von
Automatismus. Dieser Fall, der außerdem dem deutschen Gebrauch
entspricht, sollte logischerweise im Anfangsunterricht zur
Grundlage des Lernvorgangs werden.
Fall
B:
Der
Kontext (in der Regel volitive Verben, die den Willen ausdrücken)
lässt nur einen Modus zu - den Subjunktiv -, wobei andere Modi (und
damit der Indikativ) ausgeschlossen sind. Auch hier liegt also ein
Automatismus vor. Dieser Umstand bildet die Grundlage einerseits für
Sprachübungen zur Erlernung des Subjunktivs und andererseits
für Sprachprüfungen, in denen die Beherrschung dieses Modus
überprüft wird.
In
der Regel ist allein der vorhandene Auslöser semantisch relevant,
während der Subjunktiv bedeutungsleer ist. Es ist also sinnlos,
diesen Modus in diesem Fall semantisch interpretieren zu wollen.
Dennoch
ist es manchmal recht schwer, den vorangestellten Ausdruck als
Subjunktivauslöser zu identifizieren. Vergleichen wir zum Beispiel
zwei so gut wie synonyme Sätze wie folgende:
Je
souhaite que tu reviennes (mit obligatorischem Subjunktiv)
und
J’espère
que tu reviendras (mit obligatorischem Indikativ)
Beide
scheinen offensichtlich einen Wunsch auszudrücken, was
„normalerweise“ den Subjunktiv erfordert! Zu dieser Reihe
widersprüchlicher Fälle gehört auch ein scheinbar unlogisches
Beispiel (emploi illogique), in dem sich Anfang und Fortsetzung des
Satzes normalerweise ausschließen:
Le
fait que Paris soit la capitale de la France…
Obwohl
in der realen (außersprachlichen) Welt Paris die Hauptstadt
Frankreichs ist, erscheint hier der Subjunktiv! Dieser Fall
sollte jedenfalls in einer späteren Unterrichtsphase behandelt
werden.
Fall
C:
Der
Kontext übt nur einen relativen Einfluss aus: Es kann sowohl der
Subjunktiv als auch der Indikativ folgen. Diese Modi bilden
somit semantisch ein Oppositionspaar, in dem sich der Subjunktiv und
der Indikativ semantisch voneinander unterscheiden. Das ist etwa der
Fall nach einem ambivalenten Verb wie comprendre:
Je
comprends que tu es fâché avec moi.
(Einfache
Aussage, reine Feststellung: „ich sehe, dass…)
gegenüber
Je
comprends que tu sois fâché avec moi.
(Betroffenheit:
Die deutsche Übersetzung wäre dann: Ich kann es nachfühlen, ich
habe Verständnis dafür, dass…)
Dieser
Fall sollte entsprechend einer fortgeschrittenen Unterrichtsphase
vorbehalten werden.
Eine
andere, weniger anspruchsvolle Lösung wäre aber folgende: Da der
Subjunktiv möglich, aber nicht obligatorisch ist, könnte man
im Unterricht den Indikativ bevorzugen.
Wir
brauchen nicht zu betonen, dass das Erlernen der Fremdsprache in
einem schulischen Rahmen ein Vorgang ist, der sich in der Zeit
vollzieht, was bei der Unterrichtsplanung eine Progression
impliziert. Zum Beispiel unterscheidet das Sprachenzentrum der Freien
Universität Berlin zwischen drei Niveaustufen:
- Elementare Sprachverwendung
- Selbständige Sprachverwendung
- Kompetente Sprachverwendung2
Dieses
Schema könnte auf die drei von uns evozierten Fälle angewandt
werden.
Der
französische Subjunktiv wird zumeist in von der Konjunktion que
eingeleiteten Nebensätzen verwendet. Die Fälle ohne que
sind sehr rar und stellen fest fixierte Wendungen bzw. Archaismen
dar. Dazu gehören etwa erstarrte Formen wie vive oder soit,
die daher nicht konjugiert werden und unveränderlich sind:
Vive
les vacances!
Soit
le triangle ABC…
„Vienne
la nuit, sonne l'heure“: Guillaume Apollinaire, in seinem berühmten
Gedicht „Le Pont Mirabeau“ verwendet den Subjunktiv als
Archaismus, hier wohl um seine Nostalgie und Sehnsucht nach
vergangenen Zeiten zu betonen. Es handelt sich also um eine
bewusste, absichtliche Abweichung von der Regel, also um ein
Stilistikum.
In
älteren Versionen des Vaterunsers (ob katholisch oder
protestantisch) hieß es beispielsweise Ton Règne vienne oder
Vienne Ton Règne, die eine fast wortwörtliche
Übersetzung der lateinischen Bitte aus der Vulgata „Adveniat
Regnum Tuum“ waren, gegenüber heute Que Ton Règne vienne.
Auch
viele Ausdrücke, die diese Konjunktion enthalten, wirken als
Auslöser des Konjunktivs wie etwa avant que.
Im
Falle der Nichtbeachtung dieser Regel wird die verbale Produktion als
lapsus linguae empfunden und wirkt ungrammatisch oder komisch.
Bei Ausländern, die die Fremdsprache noch nicht ganz beherrschen,
kann ein solcher Lapsus leicht vorkommen. Der Lapsus ist dann
unfreiwillig und sogar unbewusst. Bei Muttersprachlern kann es
hingegen einer gewissen Freiheit entsprechen, wenn diese
Nichtbeachtung der Regel freiwillig erfolgt. Diese Freiheit hat aber
einen Preis. Sie hat auch eine Bedeutung, die - wie wir gesehen
haben - in ganz bestimmten Situationen als stilistische Abweichung
benutzt wird.
2.4
Umgehungsstrategien
Die
Verwendung des Subjunktivs gleicht also einem wahren Minenfeld, und
das Erlernen dieses Modus ist ein Weg voller Stolpersteine, und zwar
sowohl im muttersprachlichen wie im fremdsprachlichen Unterricht.
Im
frankophonen Wallonien, wahrscheinlich unter dem Einfluss der beiden
germanischen Sprachen Niederländisch im Norden und Deutsch im
Osten (Adstratwirkung), gibt es von der Norm abweichende
Wendungen, die besonders üblich sind:
Anstelle
von
Bien
que tu le saches...
(der
Regel entsprechend Subjunktiv)
hört
man, besonders bei einfachen Leuten, den Satz:
Malgré
que tu le sais…
(Indikativ,
von den Puristen kritisiert)
Die
gebildeten Frankophonen in Wallonien und Brüssel sind umso mehr
bemüht, eine normierte, fehlerfreie Sprache zu verwenden. Kein
Wunder, dass ein so wichtiges Buch wie Le Bon usage, das
inzwischen überall in der französischsprachigen Welt verwendet
wird, im Jahre 1936 in Wallonien entstanden ist und weiterhin
publiziert wird!
In
bestimmten, besonders komplizierten Fällen kommt es sogar vor, dass
Muttersprachler auf sogenannte „Umgehungsstrategien“
rekurrieren - nicht nur auf Französisch. Man denke etwa an den
berühmten Satz aus dem ersten Akt der Zauberflöte:
Es
lebe Sarastro, Sarastro soll leben.
in
dem der zweite Teil den gleichen semantischen Inhalt wiederholt, wenn
auch unter Vermeidung des deutschen Konjunktivs. Solche Mechanismen,
die den Vorteil haben, eine bestimmte Form und gleichzeitig einen
eventuell fehlerhaften Gebrauch zu vermeiden, können daher auch bei
der didaktischen Behandlung des Subjunktivs übernommen werden.
Die
Fälle von Subjunktiv nach volitiven Verben sind besonders zahlreich;
dennoch ist es oft möglich, Konstruktionen zu verwenden, die
den Subjunktiv vermeiden:
Je
souhaite que tu réussisses.
wird
zu:
Tu
réussiras, je le souhaite.
Aus
der Aussage mit einem vorangestellten Hauptsatz und einem darauf
folgenden Nebensatz werden zwei syntaktisch koordinierte Sätze.
Diese Lösung ist möglich, weil der Indikativ Futur, der etwas
signalisiert, das noch nicht geschehen ist, gewisse Affinitäten mit
dem Subjunktiv aufweist.
Dennoch
sind auch in diesem Falle andere Konstruktionen möglich, wie zum
Beispiel:
Je
souhaite te voir réussir. (mit Infinitiv)
oder
auch:
Je
souhaite ta réussite. (das Objekt wird nominal ausgedrückt)
Auch
ein Konzessivsatz, der eine Einschränkung ausdrückt, kann vermieden
werden:
Bien
qu‘elle ne soit plus là, la vie continue.
Elle
n‘est plus là, mais la vie continue quand même.
Malgré
son absence, la vie continue.
Manchmal
gibt es eine kleine Nuance zwischen der Konstruktion mit Subjunktiv
und der Formulierung mit Indikativ:
Il
faut que je le fasse.
(Es
ist nicht ganz sicher, ob die Aktion sich realisiert)
Je
le ferai, il le faut.
(Der
Satz drückt Gewissheit aus)
Aber
es gibt weitere Formeln, die semantisch genau der Konstruktion, die
man vermeiden will, entsprechen:
Je
dois le faire. (mit Infinitiv)
Nehmen
wir ein anderes Beispiel:
Je
suis heureux que tu sois là.
Eine
erste Möglichkeit ist der Satz:
Tu
es là, j’en suis heureux. (mit Umstellung und Wiederaufnahme durch
das Pronomen en)
Noch
einfacher ist es, den zweiten Teil kausal oder temporal zu
formulieren:
Je
suis heureux quand tu es là.
Je
suis heureux parce que (oder: puisque) tu es là.
Puisque
tu es là, je suis heureux. (wieder mit Umstellung)
Der
letzte Satz betont diesen Umstand besonders.
In
den Fällen, in denen sowohl Indikativ wie auch Subjunktiv möglich
sind, neigen Muttersprachler heute dazu, den Indikativ häufig
zu wählen. Man könnte also im Unterricht von dieser Freiheit
Gebrauch zu machen:
Crois-tu
qu’il vienne? / Crois-tu qu’il viendra?
Je
ne crois pas qu’il vienne. / „Je ne crois pas qu’il viendra.
Auch
möglich wäre:
Je
crois qu’il ne viendra pas.
Man
könnte noch zahlreiche Beispiele anführen. Die französische
Grammatik bietet heute so viele Möglichkeiten, dem Subjunktiv aus
dem Weg zu gehen, dass manche Linguisten sich fragen, ob sich auf die
Dauer dieser Modus zu einer exotischen Rarität entwickeln wird.
Aber
die Situation ist nicht so einfach. Es gibt heute Fälle, in denen
der Subjunktiv entgegen jeder Logik anstelle des von der Norm
verlangten Indikativs gebraucht wird:
Unter
dem Einfluss von
…avant
qu’il (ne) vienne
hört
man sehr oft die Konstruktion:
… après
qu’il soit venu…
Natürlich
von den Puristen verboten, und daher im Fremdsprachenunterricht zu
vermeiden!
3
Anstelle eines Schlusswortes: Sollen wir überhaupt noch
den
Subjunktiv lehren?
Also
können wir wieder die berühmte Gretchenfrage stellen, die sehr oft
auf Fortbildungstagungen gestellt wurde: „Sollen wir überhaupt
noch den Subjunktiv lehren?" (Barrera-Vidal 1989). Unter
Berücksichtigung der vier klassischen Fertigkeiten (Hören,
Sprechen, Lesen und
Schreiben) und des jeweiligen Entwicklungsstandes der Lernenden
könnten wir folgende Antwort wagen:
Auch
mit Anfängern gilt es, in der Sprachproduktion (Sprechen und
Schreiben) grammatisch korrekte Sätze zu bilden. Wir können
aber ruhig auf die aktive Beherrschung des Subjunktivs verzichten und
dabei die bei Frankophonen üblichen Umgehungsstrategien zur
Hilfe heranziehen. Bei Verständnisaufgaben in der Rezeption
(Leseaufgaben) jedoch sollten auch Anfänger in der Lage sein,
leichte authentische Texte, eventuell mit einzelnen
Subjunktiv-Formen, aus dem Kontext zu verstehen. Nehmen wir folgendes
Beispiel:
Je
regrette que tu ne m’aies pas répondu.
Es
liegt auf der Hand, dass der Lerner auf dieser Stufe nicht unbedingt
die Form aies als Subjunktiv zu identifizieren braucht, um den
globalen Sinn dieses Satzes zu verstehen. Hier geht es vielmehr
darum, der ganz berechtigten Forderung nach Authentizität zu
entsprechen.
„Grammatica
vivat“, schrieben wir bereits im Jahre 1992. Am Schluss dieser
Reflexionen können wir feststellen, dass die Grammatik
tatsächlich weiterhin lebt. Sie ist kein totes Fach, da wir sie
täglich verwenden. Als richtiges Lebewesen bietet sie uns sogar
Umgehungsstrategien, mit denen man spielen kann. So kann die
Beherrschung der Grammatik Freiheit und nicht Zwang bedeuten:
Grammatica mortua non est, semper vivet.
Bibliographie
Barrera-Vidal,
Albert (1989). Faut-il enseigner le subjonctif? Quelques réflexions
critiques sur les rapports entre la description linguistique et
la pratique pédagogique. In: Praxis
4/89, 415-420.
Barrera-Vidal
Albert, Manfred Raupach & Ekkehard Zöfgen (1992). Grammatica
vivat- Konzepte, Beschreibungen und Analysen zum Thema
‘Fremdsprachengrammatik’. In memoriam Hartmut Kleineidam.
Tübingen: Narr 1992.
Cohen,
Marcel (1965). Le
subjonctif en français contemporain.
Paris:
Sedes.
Dubois,
Jean (1969). Grammaire distributionnelle.
In: Langue
française,
N° 1, février 1969.
Grevisse,
Maurice & André Goosse (2011). Le
Bon Usage.
Louvain la Neuve: De Boeck Duculot
Klein,
Hans-Wilhelm & Hartmut Kleineidam (1983). Grammatik
des heutigen Französisch.
Stuttgart: Klett.
Schifko,
Peter (1967). Subjonctif
und subjuntivo. Zum Gebrauch des Konjunktivs im Französischen und
Spanischen.
Wien & Stuttgart: Braumüller.
Wikipedia
(2014). Stichwort "Hartmut Kleineidam"
(http://de.wikipedia.org/wiki/Hartmut_Kleineidam;
17.12.2014).
1 Von
1957 bis 1961 unterrichtete der Verfasser als Werkstudent
Französisch und Spanisch an der Berlitz-Schule Wiesbaden, wo
er diese Unterrichtsmethode kennen lernte.
2 Vgl.
http://www.sprachenzentrum.fu-berlin.de/slz/niveaustufen/globalskala.html;
17.06.2014.