Die zeitgenössische Grammatikographie
des Französischen in Deutschland -
am Beispiel des Passivs

Thomas Tinnefeld (Saarbrücken)
Abstract
Der vorliegende Beitrag ist der französischen Grammatikographie der zweiten Hälfte des 20. und dem bisherigen Verlauf des 21. Jahrhunderts gewidmet. Diese wird am Bei­spiel des Passivs in relevanten Entwicklungen nachgezeichnet, wozu die Französische Sprachlehre von Klein & Strohmeyer (1958), die Grammatik des heutigen Französisch von Klein & Kleineidam (1983; 1994) und Die französische Grammatik von Dethloff & Wagner (2002) als Referenzgrößen verwendet werden. Innerhalb des gewählten Ansat­zes werden wichtige Fortschritte der romanistischen Grammatikographie herausgear­beitet, deren bemerkenswerteste wohl diejenige ist, das Passiv nicht mehr nur im Sinne einer option stylistique als eine beliebige Alternativform des Aktivs zu begreifen, sondern ihm syntaxrelevante und textfunktionale Kompetenzen zuzuschreiben, die es in entsprechend gegebenen Kontexten nachgerade als eine servitude grammaticale ausweisen.

1 Einleitende Bemerkungen
Zweifelsohne hat die Grammatikographie in den vergangenen Dekaden entschei­dende Veränderungen erfahren. Die Zeitspanne der vergangenen sieben Jahr­zehnte - und diese soll hier als 'zeitgenössisch' verstanden werden - deckt nicht nur umfassende Einschnitte innerhalb der Linguistik ab, sondern auch solche in der Fremdsprachendidaktik und ebenso neuere Ansätze in der praktischen Fremdsprachenvermittlung. In der Sprachwissenschaft gab es innerhalb dieser Zeit eine ausgeprägte Hinwendung zu der neuen Teildisziplin Textlinguistik - (z.B. de Beaugrande & Dressler 1981). In der Fremdsprachendidaktik wurde innerhalb dieser Zeitspanne die kommunikative Wende (z.B. Piepho 1974) vollzogen, was bedeutet, dass nunmehr nicht mehr nur die Seite des Sprachwissens und – damit verbunden – der Aspekt der sprachlichen Korrektheit von Bedeutung ist, sondern dass der Gesichtspunkt des Sprachkönnens (Tinnefeld et al. 2014), also der Kommunikativität von zentraler Bedeutung ist, also die Fähigkeit der Fremdsprachenlerner, sich aktiv und verständlich in der Fremdsprache zu äußern. Im Rahmen der praktischen Fremdsprachenvermittlung sind - zumindest partielle - Umsetzungen dieser kommunikativen Wende zu verzeichnen und in neuester Zeit die Nutzung der neuen Medien im und für den Unterricht und die damit verbundenen lerntechnischen und kommunikativen Möglichkeiten (z.B. Meißner 1997, Bleyhl 1997) hervorzuheben. Auf dem Hintergrund dieser Situa­tion erscheint es sinnvoll, die Situation der Grammatikographie im Detail genau­er zu beleuchten.
Als hier näher betrachtetes Detail soll im vorliegenden Zusammenhang das Passiv gelten. Dieses Genus verbi bietet sich aus mehreren Gründen für Betrach­tungen wie die vorliegenden an. Zum einen ist das Passiv eine Struktur, die nicht nur die Morphologie des Verbs betrifft, sondern ebenso die Syntax und die auch transphrastische Phänomene einschließt und somit auf die Textlinguistik ver­weist. Dieser Übergang von rein formalen zu strukturell-kommunikativen Merk­malen lässt sich an kaum einer Struktur so nachhaltig nachweisen wie anhand des Passivs.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann das Passiv als Gradmesser dafür zu verstehen sein, ob und inwieweit die linguistischen, fremdsprachendidak­tischen und vermittlungstechnischen Veränderungen der vergangenen Jahrzehte in eine gegebene Grammatik übernommen worden sind. Als solcher Gradmesser soll es hier verwendet werden. Auch wenn theoretisch nicht von der Hand zu weisen ist, dass hierfür auch andere Konstruktionen verfügbar wären, so gehört das Passiv doch wohl zu den am besten hierfür geeigneten Konstruktionen.
Das Passiv ist zudem eine Struktur, die für die Schriftsprache von besonderer Bedeutung ist. Innerhalb dieser ist es für die Wissenschaftssprache von heraus­ragender Wichtigkeit. Es stellt somit eine Struktur dar, die für die Beherrschung des Französischen von erheblicher Wichtigkeit ist. Zwar ist das Passiv in der gesprochenen Sprache durchaus weniger frequent, aber bedeutungsvoll ist es in dieser dennoch. Diese Bedeutung in den beiden grundlegenden Dimensionen der Sprache - der schriftlichen und der mündlichen - lässt das Passiv zusätzlich für die hier anzustellenden Betrachtungen attraktiv erscheinen.
Eine Betrachtung der Grammatikographie des Französischen der vergangenen sieben Dekaden stellt per definitionem ein hochgradiges umfangreiches Unter­fangen dar. Ein solches muss - wenn es im Rahmen eines Fachaufsatzes durchführbar sein soll - entsprechend operationalisiert werden. Diese Operatio­nalisierung besteht im vorliegenden Zusammenhang in der Auswahl relevanter Grammatiken, die für die eigentliche Untersuchung herangezogen werden. Auch wenn es hierfür prinzipiell eine Reihe von Werken gibt, so kristallisieren sich bei näherer Betrachtung konkret drei Grammatiken heraus, die sich für eine Unter­suchung hier gleichsam aufdrängen. Bei diesen handelt es sich um die Französische Sprachlehre von Hans-Wilhelm Klein & Fritz Strohmeyer (1958), die Grammatik des heutigen Französisch von Hartmut Kleineidam & Hans-Wilhelm Klein (1983ff) und um Die französische Grammatik von Uwe Dethloff & Hans Wagner (2002). Diese drei Grammatiken werden hier stellvertretend für alle anderen in die Betrachtungen einbezogen1. Diese Auswahlentscheidung möge an dieser Stelle nicht so verstanden werden, dass andere Grammatiken bedeutungslos seien oder eine mindere Qualität aufwiesen. Hier geht es ledig­lich darum, drei qualifizierte und aus unterschiedlichen Gründen herausragende Werke der französischen Grammatikographie auszuwählen und damit drei Grammatiken zur Verfügung zu haben, die verlässliche Aussagen ermöglichen.
Im Folgenden soll zunächst kurz auf die hier ausgewählten Grammatiken eingegangen werden. Danach wird das Passiv in den ausgewählten Grammatiken detailliert untersucht. Abschließend werden die in der Untersuchung ermittelten Befunde in einen übergeordneten Zusammenhang gestellt.

2 Die untersuchten Grammatiken im Fokus
Im Folgenden seien die hier ausgewählten Grammatik kurz charakterisiert und in einen linguistischen und fremdsprachendidaktischen Kontext eingebettet. Dieser Beschreibungsschritt ist notwendig für eine Einbeziehung des Hintergrund ihrer Entstehungszeit, was wiederum eine Voraussetzung für ein adäquates Verständ­nis dieser Grammatiken und dem darin gewählten Beschreibungsansatz dar­stellt.
Die Französisch Sprachlehre von Hans-Wilhelm Klein und Fritz Strohmeyer (1958) war ein für ihre Zeit bahnbrechendes Werk (Niederländer 1981: 136) und dominierte die Grammatikographie des Französischen wie auch die grammatik­basierte Vermittlung dieser Sprache ab den späten 1950er Jahren. Zu Recht schreibt Hartmut Kleineidam:
Die Französisch Sprachlehre von Klein/Strohmeyer hat seit ihrem Erscheinen im Jahre 1958 über Jahrzehnte hinaus als Lern- und Nachschlagegrammatik den französischen Fremdsprachen- und Grammatikunterricht in der Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt. (Kleineidam 1986b:173)
Der Französischen Sprachlehre kommt - im Vergleich zu dem bis dato üblichen Ansatzes der Wahl literarischer Beispiele des bon usage zur Illustration der ange­gebenen Grammatikregeln - eine erhebliche Modernisierung der grammatischen Beschreibungsmethode zu, die in einer umwälzenden Veränderung der Bezugs­basis zu sehen ist. So schreibt Hartmut Kleineidam über die Französische Sprachlehre:
Es ist zweifellos ein Verdienst dieser Grammatik, die Aussagen zum Sprachge­brauch an modernen französischen Quellen und Grammatikerzeugnissen orientiert zu haben (Kleineidam 1986: 75)
Die Französische Sprachlehre kann als die letzte wichtige Grammatik des Fran­zösischen betrachtet werden, die die Linguistik der "alten Schule" verkörperte2, also vor dem in den 1960er Jahren einsetzenden Linguistik-Boom erstellt wurde (Kleineidam 1986: 75). Zu jener Zeit stand die Pragmatik kurz vor ihrer Lancierung (Austin 1962; Leech 1983); die Textlinguistik gab ebenfalls noch nicht, und es sollte noch einige Zeit dauern, bis sie sich innerhalb der Sprach­wissenschaft etablierte. Praktischer Fremdsprachenunterricht wurde in Deutsch­land noch weithin nach der Grammatik-Übersetungsmethode erteilt, und die audiolinguale Methode war auf dem Vormarsch. Die Vermittlung kommunika­tiver Fertigkeiten war im Fremdsprachenunterricht der damaligen Zeit jenseits aller Vorstellung. Die Französische Sprachlehre von Klein & Strohmeyer, die so­mit durchaus auf der Höhe ihrer Zeit war, muss auf diesem Hintergrund gesehen werden. Sie stellt jedoch ihrerseits bereits eine Schnittstelle dar zwischen den traditionalistischen grammatikographischen Auffassungen bis zur Mitte der 1950er Jahre und der linguistischen bzw. grammatikographischen "Neuzeit" - jedoch noch vor der Entwicklung von Pragmatik, Textlinguistik und kommunika­tiver Wende - und eignet sich allein aus diesem Grunde in besonderem Maße für den hier durchgeführten Grammatikvergleich.
Die von Hans-Wilhelm Klein und Hartmut Kleineidam im Jahre 1983 vorgelegte Grammatik des heutigen Französisch ist eine der meist verwendeten Grammati­ken des zeitgenössischen Französisch und hat mit einer Verbreitung von bisher etwa 250.000 Exemplaren (Verlagsangaben, März 2013) eine erhebliche Beach­tung unter Lehrenden und Lernenden des Französischen gefunden. Die Gram­matik stellt - wie die beiden anderen hier untersuchten Werke - eine Referenz­grammatik dar, in der angestrebt wird, das zum Zeitpunkt der Publikation aktuelle Wissen der Linguistik für die allgemeine Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Hartmut Kleineidam selbst benennt als "globale Veränderungen" (Kleineidam 1986: 76) der Grammatik des heutigen Französisch gegenüber der Französischen Sprachlehre die folgenden:
  • Sprachliche Normen, sowie sie in Regelformulierungen und -erläuterungen zum Ausdruck kommen, sind im Sinne einer synchronen Beschreibung konsequent auf das Französische der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezogen.
  • Als Norminstanz ist nicht mehr der bon usage der guten Schriftsteller allein ausschlaggebend. Der veränderten Zielsetzung des Französischunterrichts ent­sprechend hat sich eine Verschiebung der Norm von der literarischen Sprache hin zur neutralen Standardsprache ergeben, d.h. der gesprochenen und ge­schriebenen Sprache, die sich weder durch allzu große Nachlässigkeit noch durch gezwungene Gewähltheit auszeichnet, jener Sprache, die heute im Groß­raum Paris geprägt und von den sog. gebildeten Sprechern verwendet wird. (...)
  • Innerhalb der gewählten Standardvarietät werden diejenigen Formen und Konstruktionen, die in Bezug auf das Medium (gesprochene Sprache vs. geschriebene Sprache) markiert sind, systematisch gekennzeichnet. (…) (Kleineidam 1986: 76; Hervorhebungen im Original)
Zum damaligen Zeitpunkt hatten sich Pragmatik und Textlinguistik bereits eta­bliert, und an den Schulen wurde der Französischunterricht mehr und mehr kommunikativ gestaltet. Das Verdienst von Hans-Wilhelm Klein und Hartmut Kleineidam bestand darin, diese neuen Entwicklungen in ihrer Grammatik be­rücksichtigt und Letztere zudem hochgradig didaktisch aufgebaut zu haben.
Mit dieser Ausweitung der grammatikographischen Beschreibung auf pragma- und textlinguistische Dimensionen geht die Grammatik des heutigen Französisch in eindeutiger Weise über den bis dato gesetzten Rahmen der Wort- und Satzebene hinaus und reicht in denjenigen des Textes hinein, ohne dabei eine Textgrammatik im eigentlichen Sinne sein zu wollen. Diese perspektivische Erweiterung, auf deren Basis sie sich zusätzliche Beschreibungsebenen eröff­nete, die traditionell nicht in vergleichbarer Weise zur Verfügung standen, ist zugleich als ein wesentliches Verdienst der Grammatik zu betrachten. In ihr wer­den wesentliche transphrastische Phänomene mitberücksichtigt, die im Rahmen älterer Ansätze nicht beschreibbar waren.
Diese Erweiterung ließ und machte - und macht - die Grammatik des heutigen Französisch für ihre Rezipienten attraktiv, da sprachliche Gegebenheiten dort in weitgehend der Weise beschrieben werden, wie sie sich in der Realität darstellen. Die Art der Beschreibung lässt sich somit als hochgradig realitätsnah einstufen. Entsprechend schreiben die Autoren im Vorwort zur 1. Auflage:
Gegenstand dieser Grammatik ist die Darstellung der Morphologie und Syntax des gegenwärtigen Französisch innerhalb eines Sprachbereichs, den man mit dem Begriff "Standardsprache" umschreiben kann. Als maßgeblich für die Darstellung der "Norm" dieses Sprachbereichs gilt nicht mehr allen der traditionelle bon usage, der gute Sprachgebrauch klassischer und moderner Autoren. Zentrale Bedeutung kommt vielmehr der geschriebenen und gesprochenen Form der Alltagssprache zu, so wie sie heute im Großraum Paris geprägt, von den Medien verbreitet und von der Mehrheit der Sprecher in einer Vielzahl von Situationen gebraucht wird. Der funktionalen Gliederung des gewählten Sprachbereichs versucht die Grammatik gerecht zu werden, indem sie die für das Französische typischen Unterschiede zwi­schen gesprochener und geschriebener Sprache durchgehend berücksichtigt und Abgrenzungen von Sprachregistern systematisch vornimmt. (Klein & Kleineidam 1994: 3)
Die Berücksichtigung auch der gesprochenen Sprache stellt eine grammatikogra­phischen Paradigmenwechsel dar. Die Sprache nicht nur in ihrer schriftsprach­lichen Ausprägung darzustellen, sondern auch in ihrer gesprochensprachlichen und diese Dimension der Mündlichkeit in die Beschreibung des Systems des Französischen einzubeziehen, war ein Schritt, der 25 Jahre zuvor als jenseits aller Vorstellungen betrachtet worden war. Die Grammatik des heutigen Französisch war somit nicht nur auf der Höhe ihrer Zeit, sie war dieser gleichsam um einen Schritt voraus. Nicht umsonst konnte sie sich bisher mehr als 30 Jahre lang auf dem Markt halten.
Über die genannten Gesichtspunkte hinaus ist in der Grammatik des heutigen Französisch gegenüber der Französischen Sprachlehre eine wichtige Neuerung festzustellen. Während Letztere in relativer Ausführlichkeit auf die Geschichte der französischen Sprache eingehen (Klein & Strohmeyer 1958: 9) wird diese in Klein & Kleineidam (1994) gänzlich ausgeblendet. Hier figurieren hingegen Ausführungen zu dem Verhältnis von gesprochenem und geschriebenem Französisch einerseits (Klein & Kleineidam 1994: 17f) und zu der Norm des Französischen (ibid. : 18f). Es wird in dieser Grammatik somit exakt die Entwicklung nachvollzogen, den die Linguistik bis dato ebenfalls genommen hatte: die Abwendung von einer dominant diachronischen und die Hinwendung zu einer synchronischen Sichtweise sprachlicher Beschreibung und Analyse. Fragen wie das Verhältnis von Lautbild und Schriftbild in gesprochener und geschriebener Sprache (code phonique und code graphique) und die Situativität in beiden Ausprägungen (langue parlée und langue écrite) (ibid: 17f) stellen - nicht zuletzt auf der Basis von Sölls (1980, 31985) ebenfalls bahnbrechender Forschung - das aktuelle Französisch in den Mittelpunkt und räumen dem gesprochenen Französisch einen Rang ein, den es in grammatikographischer Beschreibung bis dato nicht innehatte. Diese Aufwertung des gesprochenen Französisch auf der Basis der damals aktuellen Forschungslage stellt ein wichtiges Kriterium und ein ebenso wichtiges Verdienst dieser Grammatik dar. Fragen wie die unterschiedlichen Ausprägungen der Norm des Französischen in regionaler und situativer Hinsicht innerhalb der neutralen Standardsprache sowie ober- und unterhalb dieser waren grammatikographisch neue Erwägun­gen, die die Perspektive der Referenzgrammatik erweiterten, die Darstellung in einen synchronischen Rahmen stellten, die Relevanz der beschriebenen Phäno­mene gesamthaft einzuordnen halfen und den Lerner schließlich zu einer größe­ren Sprachbewusstheit hinführten.
Durch ihre Berücksichtigung der gesprochenen Sprache bedingt ist die Gramma­tik des heutigen Französisch von einer erheblichen Realiätsnähe geprägt: Lernern die Möglichkeit zu geben, sich in den Ländern der Zielsprache so ausdrücken zu können, wie dies von den dortigen Muttersprachlern als adäquat empfunden werden konnte - also eben nicht "wie gedruckt" zu sprechen -, war im Rahmen der französischen Grammatikographie ein wichtiger didaktischer Schritt, der zudem die Verwendbarkeit dieser Grammatik erheblich erhöhte.
Für die Grammatik des heutigen Französisch legen wir hier - in dem Bewusst­sein, dass die erste Auflage der Grammatik bereits im Jahre 1983 publiziert wurde, welches wir hier auch als diachron relevantes Publikationsjahr betrach­ten - die Neubearbeitung aus dem Jahre 1994 zugrunde. Wir tun dies, da diese neuere Version der Grammatik ungleich länger auf dem Markt ist als die Erstauflage und somit noch mehr als diese die Grammatikographie des Französi­schen geprägt hat. Zudem sind die Veränderungen zwischen dem Original der ersten Auflage und der - ebenfalls auf der ersten Auflage basierenden - Neubearbeitung der Grammatik so geringfügig, dass hier auf eine getrennte Be­trachtung beider Ausgaben verzichtet werden kann.
Die von Uwe Dethloff und Horst Wagner im Jahre 2002 vorgelegte Grammatik, die den Titel Die französische Grammatik (dort selbst abgekürzt zu DfG) trägt, sieht sich durchaus in der Tradition von Klein & Kleineidam. Diese Einschätzung ergibt sich aus dem Vorwort, in dem es heißt:
DfG ist eine Grammatik auf Satzbasis; textgrammatische Aspekte finden überall dort Berücksichtigung, wo sie für die französische Sprache besonders bedeutsam sind (z.B. Passiv, indirekte Rede). DfG ist eine Lerngrammatik und daher einem nor­mativ-präskriptiven Ansatz verpflichtet, verweist jedoch systematisch auch auf Tendenzen zur Nichtbeachtung der Norm im aktuellen Sprachgebrauch. Hierbei handelt es sich um authentische sprachliche Varianten, die Teil der modernen Sprachentwicklung sind und die von Lernenden zur Kenntnis genommen werden müssen. (Dethloff & Wagner 2002: V; Hervorhebungen im Original)
Dabei ist Uwe Dethloff der Autor der eigentlichen Grammatik, dortselbst 'Lehrbuch' genannt; Horst Wagner ist Autor des Trainingsprogramms. Die Grammatik selbst ist in jedem Kapitel untergliedert in die Bereiche Grundstufe, Aufbaustufe und Repetitorium, wobei Letzteres eine Synopse der jeweils zuvor erfolgten Darstellung bietet (Dethloff & Wagner 2002: Vf). Im vorliegenden Zusammenhang wird ausschließlich das 'Lehrbuch' - also die eigentliche Gram­matik - berücksichtigt, um Einheitlichkeit in der Behandlung zu gewährleisten, da die beiden anderen Grammatiken auch keine Übungsteile aufweisen. Zu der Grammatik von Klein & Kleineidam existiert jedoch ein Übungsbuch, das zu dieser parallel verwendet werden kann, aber zudem auch Querverweise auf andere Grammatiken enthält (Kleineidam & Vincent 1988). Dieses Übungsbuch wird hier entsprechend ebenfalls nicht berücksichtigt.
Überraschend ist die Einschätzung der Autoren, die ihre Grammatik als "Lerngrammatik" verstehen. Diese Einschätzung mag durch den didaktischen Ansatz begründet sein, der im Rahmen des Trainingsprogramms umfangreiche Übungsteile umfasst und ebenfalls eine CD-ROM einschließt. Aufgrund der Detailliertheit ihrer Darstellung und ihrem Umfang von nahezu 800 Seiten kann die Grammatik jedoch unproblematisch als Referenzgrammatik eingestuft wer­den, was wir hier auch tun. Somit eignet Die französische Grammatik sich auch unter diesem Gesichtspunkt als Vergleichswerk zu Klein & Strohmeyer (1958) einerseits und Klein & Kleineidam (1994) andererseits.
Ein Verdienst, das Dethloff & Wagner (2002) zukommt, ist, dass in ihrer Grammatik die Norm des Französischen mit ihren verschiedenen niveaux de langue am ausführlichsten behandelt und anhand von Beispielen illustriert wird (ibid.: 4ff). Im Unterschied zu Klein & Kleineidam wird hier jedoch eine rein theoretische Darstellung präsentiert; Sprachbeispiele werden nicht gegeben. Die so behandelten Normen sind die individuelle, die soziale, die stilistische und die präskriptive Norm. Auch hier wird das français courant / standard ausgegrenzt, und es werden die Register oberhalb und unterhalb desselben definiert (ibid.: 5).
Mit Blick auf das gesprochene und geschriebene Französisch werden hier ebenfalls - wie bei Klein & Kleineidam - die Unterschiede von Laut- und Schrift­bild einerseits und Besonderheiten von Morphologie und Syntax andererseits beschrieben, wobei jeweils Sprachbeispiele gegeben werden und das Standard­französische (unter Einbeziehung von literarischer Sprache und Umgangsspra­che) als Bezugsvariante identifiziert wird (ibid.: 6ff). Die Darstellung bei Dethoff & Wagner geht dabei nicht unbedingt tiefer als diejenige bei Klein & Kleineidam, sie ist aber ausführlicher. In beiden Grammatiken ist grundsätzlich die gleiche Stoßrichtung feststellbar. Die Beschreibung wird in einer Weise vorgenommen, die dem Lerner eine wichtige generelle Orientierung vermittelt. Die Grammatik von Dethloff & Wagner ist in der Tradition von Klein & Kleineidam (1994) zu sehen und führt die dort eingenommene Sichtweise konsequent fort.

3 Die Darstellung des Passivs in den ausgewählten Grammatiken
3.1 Vorbemerkungen
Vor der eigentlichen Analyse des Passivs sei betont, dass jegliche Gesichtspunkte, die im Folgenden beschrieben und analysiert werden, nicht auf destruktive Weise kritisch gemeint sind, sondern als Analyse der Grammatiko­graphie in drei verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung verstanden werden mögen. Es steht uns dabei nicht an - und ist auch nicht so gemeint -, an anerkannten Grammatikographen der Vergangenheit und der Gegenwart Kritik zu üben: Die hier beschriebenen Werke haben ihre Qualität innerhalb eines Jahrzehnts oder mehrerer Jahrzehnte ihrer Nutzung durch Lehrer und Lerner des Französischen unter Beweis gestellt.
Zudem sind wir uns des Faktums bewusst, dass mit der Auswahl eines zwar wichtigen - dennoch eines einzigen - Grammatikkapitels hier keine generalisier­baren Aussagen getroffen werden, sondern lediglich Tendenzen aufgezeigt werden können, die ihrerseits einen Anstoß zum Nachdenken enthalten und Grammatikographen wie auch Verlagen den einen oder anderen Hinweis geben mögen.
Da jegliche Grammatik sich in erster Linie in ihrer Form der Darstellung sprachlicher Zusammenhänge manifestiert und erst auf der Basis dieser "unmittelbaren" Daten bewertbar wird, weit weniger jedoch auf derjenigen von Sekundärdaten wie Kommentaren und Analysen zu Ersteren, ist es im Folgenden unumgänglich, an dieser oder jener Stelle ausführliche Zitate aus den untersuch­ten Werken zu bringen. Nur durch diese Beispiele wird es dem Leser möglich, die hier vorgelegten Analysen zu den einzelnen Grammatiken adäquat zu verste­hen. Diese ausführliche Zitierung der jeweiligen grammatischen Darstellungs­weise haben im vorliegenden Zusammenhang somit die Funktion, die Lesefreundlichkeit des vorliegenden Beitrages zu erhöhen.
Da hier Entwicklungen der Grammatikschreibung aufgezeigt werden sollen, in deren Rahmen die einzelnen Grammatiken im Mittelpunkt stehen und dem Passiv lediglich die Funktion eines Beispiels zukommt, werden unsere Ausfüh­rungen folgerichtig nach den untersuchten Grammatiken gegliedert und nicht nach dem hier exemplifizierten Sprachphänomen.

3.2 Klein & Strohmeyer: Französisisch Sprachlehre (1958)
In der Französischen Sprachlehre wird das Passiv im Umfang von etwa einer Buchseite abgehandelt (Klein & Strohmeyer 1958: 91f). Somit ergibt sich hier im Vergleich zu den anderen untersuchten Grammatiken die mit Abstand kürzeste Darstellung. Nach einer allgemeinen Darstellung folgen Beispielsätze mit der jeweiligen deutschen Übersetzung, die kurz kommentiert werden. Das Passiv wird ausgewiesen als eine Handlung, die sich "am Subjekt vollzieht" (ibid.: 91). Wenn diese Formulierung auch nicht unmittelbar verständlich sein mag, so ist positiv hervorzuheben, dass von der unglücklichen, jedoch seit jeher verbreite­ten Notion des Passivs als 'Leideform' abgesehen wird. Positiv ist zudem, dass der diskutable Oberbegriff zu Aktiv und Passiv - der dem Bereich der Nomina entlehnte Begriff genus verbi3 - hier vermieden wird.
Die Darstellung ist sowohl im Rahmen der sprachlichen Beschreibung als auch in den Beispielen in permanentem Kontrast mit dem Deutschen konzipiert. Dies gilt ebenso für die beiden das Passiv konstituierenden Verben être und werden wie für die Entsprechungen französischer Beispielsätze, die im Deutschen reali­sierbar sind oder auch nicht (s.u.).
Das Passiv wird hier in seiner formalen Ausdehnung auf ein Minimum reduziert: Dadurch, dass ein Satz wie La maison est détruite sowohl aktional als auch zuständlich verstanden werden kann (vgl. Das Haus wird zerstört (Handlung) gegenüber Das Haus ist zerstört (Zustand als Ergebnis der zuvor genannten Handlung), erkennen Klein & Strohmeyer lediglich Sätze in den Tempora passé simple, passé composé, plus-que-parfait, passé antérieur und futur simple als "echte Passivformen" an (ibid.: 91). Im présent müsse ein Agens figurieren, damit ein gegebener Satz als Passivsatz erkannt werden könne (La maison est détruite par l'ennemi bzw. Il est aimé de tout le monde). Folglich könne der deutsche Satz Das Haus wird zerstört, in dem kein Agens genannt wird, nur durch die Konstruktion mit on wiedergegeben werden: On détruit la maison (ibid.). Aus der heutigen linguistischen und grammatikographischen Perspektive ist diesem Ansatz zwar eine gewisse Berechtigung zuzusprechen, jedoch ist eine Unterscheidung zwischen 'echten' und - wenn auch nicht explizit ausgedrückten - 'unechten' Passivformen dem Lerner wie auch der Verständlichkeit der Darstel­lung wenig hilfreich. Die Art und Ausprägung des Verständnisses von Sätzen wie La maison est détruite (Das Haus ist zerstört) verbleibt implizit und somit unklar.
Die Unterscheidung zwischen par und de für den Anschluss des Urhebers - dieser Begriff wird hier bereits gewählt, was ein großes Verdienst dieser Beschreibung darstellt - wird als vorgangsbezogen (par) bzw. als zustandsbe­zogen (de) ausgewiesen (ibid.: 91f) und ist somit funktional.
Im Hinblick auf die Beispielsätze ist von Bedeutung, dass nicht Zitate aus hervorragenden Werken der Literatur als solche gegeben werden, sondern kurze, einprägsame Sätze der Gegenwartssprache: La maison fut détruite par le feu, Les petits seront aidés par les grands (ibid.: 91). Dass hier ein Tempus wie das passé simple gleich für mehrere Beispielsätze gewählt wird, ist ebenfalls als Zeichen der damaligen Zeit zu verstehen und mag als Übergangsphase zwischen der Zitation literarischer Beispiele und derjenigen wirklich lebensnaher Beispiele späterer Jahre gelten.
Insgesamt wird deutlich, dass die Darstellung zum Passiv in Klein & Strohmeyer (1958) im Formalen verbleibt und auch solche Probleme verbalisiert, die dem Lerner wenig nützen, wie dasjenige der typologischen Abgrenzung des Passivs (vgl. "echte Passivformen). Nicht geklärt wird hingegen - was natürlich nicht der Grammatik angelastet werden kann, sondern durch den damaligen Entwick­lungsstand der Linguistik bedingt ist - die kommunikative Relevanz des Passivs. An Frequenzuntersuchungen war zum damaligen Zeitpunkt nicht zu denken, und eine Erscheinung wie die Korpuslinguistik war noch unvorstellbar. Dennoch er­scheint auch auf diesem Hintergrund eine Einschätzung wie:
Wegen seiner begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten ist das Passiv im Französischen wenig beliebt und selten. (Klein & Strohmeyer 1958: 9114; Hervorhebung im Origi­nal).
ein wenig apodiktisch und aus heutiger Sicht kaum mehr haltbar.
Zudem ist von Bedeutung, dass die Französische Sprachlehre - wie dies Ende der 1950er Jahre auch nicht anders sein konnte - ganz klar im Rahmen des Satzes verbleibt: Sie ist eine Satzgrammatik und geht über den fest gesteckten Rahmen des Satzes nicht hinaus. Die Textlinguistik existierte - wie oben erwähnt - zu der damaligen Zeit noch nicht, und es herrschte auch noch kein Bewusstsein darüber, in welcher Weise Sätze vertextet werden. Auf diesem Hintergrund kann natürlich nicht erwartet werden, dass solche Erkenntnisse in der Grammatik - gleichsam vor ihrer Zeit - widergespiegelt würden. Es ist jedoch von Bedeutung zu erkennen, was ihr Fehlen bewirkt, von welch begrenztem Nutzen eine Grammatik somit nur sein kann, in der Phänomene, die transphrastische Erscheinungen betreffen, nicht behandelt werden. Diese Erkenntnis, die keines­wegs neu ist, die im vorliegenden Zusammenhang jedoch deutlich betont sei, verweist klar in die Richtung, in die Linguistik und Grammatikographie sich in der Folge entwickelten, und zeigt damalige Desiderate auf, die dringend einer Füllung bedurften - die mit der Entwicklung von Textlinguistik und Pragmatik dann ja auch eintrat. Bei dieser Analyse wollen wir es hier bewenden lassen und uns im Bewusstsein der bis hier herausgearbeiteten Erkenntnisse der Gram­matik des heutigen Französisch von Klein & Kleineidam zuwenden.

3.3 Klein & Kleineidam: Grammatik des heutigen Französisch (1983, 1994)
Die Darstellung des Passivs in der Grammatik des heutigen Französisch (Klein & Kleineidam 1994) ist ungleich umfassender als diejenige in Klein & Strohmeyer (1958). Sie beginnt mit einer sehr leserfreundlichen, visualisierenden Darstel­lung der Aktiv-Passiv-Transformation, die von einem kurzen Kommentar flankiert wird, in diesem das Agens - wie bei Klein & Strohmeyer - ebenfalls Urheber genannt wird (Klein & Kleineidam 1994: 208). In diesem didaktischen Ansatz, der die gesamte Grammatik durchzieht und als eine von deren grundlegenden Konstituenten bezeichnet werden kann, ist ein entscheidender Unterschied zu Klein & Strohmeyer zu sehen, die eine sprachorientierte, nicht jedoch eine sprachdidaktische Beschreibung vornehmen.
Von ebenfalls großer Bedeutung ist das Faktum, dass in der Grammatik des heu­tigen Französisch sowohl das Vorgangs- als auch das Zustandspassiv als Passivformen anerkannt werden und keine Unterscheidung mehr zwischen 'echten' und 'unechten' Passivformen getroffen wird (ibid.: 209). Somit wird eine eher obskure Beschreibung dort durch eine nachvollziehbare Darstellung hier ersetzt. Eine tiefer gehende - und sicherlich in diesem Rahmen zu weit führende - linguistische Beschreibung im Sinne einer konsistenten Unterscheidung zwi­schen beiden Passiva erfolgt hingegen nicht. Statt dessen wird zum Zwecke der Unterscheidung beider Ausprägungen des Passivs anhand von Beispielen auf den jeweiligen Kontext verwiesen (ibid.).
Ebenfalls vertieft wird die Differenzierung der präpositionalen Ergänzungen des Urheberanschlusses durch par und de (ibid.: 209f). Diese wird - neben einer quantitativen Ausweitung - ein wenig detaillierter systematisiert als in der Französischen Sprachlehre, indem die Notion des Gebrauchs von de im übertragenen Sinn eingeführt und zudem eine Liste von Verben, die tendenziell mit dieser Präposition zusammen gehen, angefügt wird (ibid.: 210). Auch hier erweist sich die Darstellung weit nutzerfreundlicher als in der Vorgänger­grammatik. Die Lerner bekommen mehr und exaktere sprachliche Informationen an die Hand und können sich nicht nur an den Regeln, sondern auch an den aufgeführten Konstruktionen orientieren.
Von der im gegebenen Zusammenhang größten Bedeutung ist jedoch das Kapitel zum Gebrauch des Passivs (Klein & Kleineidam 1994: 210f), mit dem die vorliegende Grammatik gesamthaft über den Beschreibungsbereich ihrer Vorgängerin hinausgeht. Im Unterschied zu Klein & Strohmeyer (1958) wird hier auf das Phänomen verwiesen, dass Aktiv und Passiv "nicht ohne weiteres austauschbar" (ibid.: 210) sind. Unterschieden wird auf der einen Seite zwischen dem Passiv ohne Nennung des Urhebers, die im Vergleich häufiger ist und verwendet wird, wenn der Urheber "unbekannt, unwichtig oder selbstverständ­lich ist" (ibid.) oder "verschwiegen werden soll" (ibid.). Auf der anderen Seite wird das Passiv mit Nennung des Urhebers zugrunde gelegt, das dann steht, "wenn der Urheber den Aussageschwerpunkt des Satzes, das Rhema, bildet" (ibid.). Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zudem der folgende Hin­weis:
Wenn der Urheber des Vorgangs eine Sache ist, wird das Passiv dem Aktiv vorgezogen. Es heißt also eher Ce matin, un assant a été renversé par un taxi als Ce matin, un taxi a renversé un passant. (Klein & Kleineidam 1994: 210)
Die Erwähnung dieser ausgeprägten Sachorientierung des Passivs, die ihrerseits der sprachlichen Realität entspricht, ist im Vergleich zu früheren Grammatiken eine Neuerung. Dieser leicht zu verstehende, zugängliche Hinweis verdeutlicht zum einen die nicht vorhandene Austauschbarkeit von Aktiv und Passiv und spricht dem Passiv eine eigene Existenzberechtigung zu. Er ist zum anderen für Lerner hilfreich, die hier für solche Situationen, in denen sie sich zwischen Aktiv und Passiv entscheiden müssen, eine wichtige Orientierungshilfe erhalten. Schließlich macht allein dieser Hinweis deutlich, dass das Passiv für das Franzö­sische ungleich bedeutungsvoller ist, als Klein & Strohmeyer (1958) dies ein­schätzten. Die grammatische Darstellung erfüllt hier somit in kurzen, aber prägnanten Worten unterschiedliche Funktionen - von der linguo-gramma­tischen Darstellung der sprachlichen Realität bis hin zur didaktisch wertvollen Hilfestellung für Lerner.
Eine Erweiterung seines Geltungsbereiches gegenüber dem ihm in Klein & Stroh­meyer (1958) zugestandenen wird dem Passiv in Klein & Kleineidam (1994: 211f) eingeräumt, wo in Ergänzung zu der bereits von Klein & Strohmeyer (1958: 91) erwähnten on-Konstruktion die Reflexivkonstruktion und die Konstruktionen se faire / se laisser und se voir + Infinitiv (Klein & Kleineidam 1994: 211f) in die Beschreibung des Passivs integriert werden. In gegebenen Zusammenhang wollen wir uns die Reflexivkonstruktion näher anschauen. Sie wird in Klein & Kleineidam wie folgt dargestellt:
Bei vielen direkt transitiven Verben ist im Französischen eine Reflexivkonstruktion mit passivischem Sinn möglich:
Cette expression e'emploie dans la langue familière (Cette expression est employée / On emploie ...)
De nombreux meetings se sont tenus pendant la campagne électorale. (= On a tenu de nombreux meetings ...)
Ce vin se boit de préférence avec les fruits de mer.
(= On boit ce vin de préférence ...)
Die Reflexivkonstruktion steht als Variante des être-Passivs oder der on-Konstruktion, wenn der Urheber der Hand­lung nicht genannt ist.
Sie wird verwendet, wenn das Subjekt eine Sache bezeich­net.
Anmerkung: Auch das Deutsche kennt die passivische Reflexivkonstrukion. Sie wird je­doch seltener verwendet.
Ce livre se vend bien. (Dieses Buch verkauft sich gut). Aber: Cela ne se dit pas. (Das sagt man nicht.)
Die Reflexivkonstruktion drückt häufig eine modale Nuance aus wie Möglichkeit, Offensichtlichkeit, Notwendigkeit:
Une voiture, cela se remplace facilement. ... kann leicht ersetzt werden.
Cela se voit. Man sieht's/in der Tat.
Mais à cette époque, tout se payait cher, .... musste alles teuer bezahlt werden,
même l'espoir sogar die Hoffnung.
(Simone de Beauvoir).
Bei manchen Verben haben Reflexiv- und Passivkonstruktion unterschiedliche Bedeutung. - Unterscheide:
Le mot agression s'écrit avec un seul g en français. ... wird im Französischen mit einem g geschrieben (grundsätzlich)
Le mot agression est écrit avec deux g dans cette lettre. ... ist in diesem Brief mit zwei g geschrieben (als Einzelfall).
Anmerkung: Die Reflexivkonstruktion wird in der geschriebenen Sprache auch bei Extraposition des Subjekts verwendet: Les gens lisent relativement peu de romans. Et pourtant, il s'en publie une quantité, chaque année.
(Klein & Kleineidam 1994: 211f; Hervorhebungen im Original)
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang nicht nur das Faktum, dass diese Konstruktion hier in die französische Grammatikschreibung aufgenommen wird, sondern zudem, in welcher analytischen Tiefe sie dargestellt wird. So wird sie zunächst (im ersten Kasten) sprachlich eingeordnet und mit bestimmten Be­schränkungen als Variante zum être-Passiv und zur on-Konstruktion ausgewie­sen. Mit dieser Feststellung wird der Geltungsbereich der Notion Passiv erheblich erweitert, was im übrigen auch für die oben genannten Varianten der Reflexivkonstruktion (se faire / se laisser / se voir + Infinitiv) gilt. Bei dieser Er­weiterung der Passivierung wird jedoch nicht verblieben, sondern es wird ein wichtiger Anwendungsbereich ihrer beschrieben, die der traditionellen Passiv­form so nicht inhärent ist: der modale Charakter der Reflexivkonstruktion. Dass diese im Vergleich zum être-Passiv eine weitere semantische Nuance zum Ausdruck zu bringen vermag - Grundsätzlichkeit im Vergleich zum Einzelfallbezug des être-Passivs - wird darüber hinaus dokumentiert. Ein Vergleich mit dem Deutschen und dem dortigen Geltungsbereich der Reflexivkonstruktion rundet die Beschreibung dieser ab. Es wird somit deutlich, dass hier eine sehr prägnante, informationell dichte und die sprachliche Realität exakt abbildende Beschreibung dieser Konstruktion vorgenommen wird, die die Grammatiko­graphie des Passivs einen entscheidenden Schritt voranbringt. Allein an diesem Beispiel wird deutlich, welchen Fortschritt die Grammatikographie (des Passivs) in den Jahren zwischen Klein & Strohmeyer (1958) und Klein & Kleineidam (1994) gemacht hat.
In innovativer Manier über die eigentlichen Grenzen einer Satzgrammatik hinaus geht die Darstellung zum Aktiv und Passiv im Text (Les fonctions textuelles du passif), die hier vollständig zitiert sei:
Im Text hat das Passiv die Funktion, im Wechsel mit dem Aktiv zwei oder mehrere Sätze so zu verbinden, dass eine sinnvolle Informationsabfolge zustande kommt. So kann die als Objekt in einem Aktivsatz gegebene Information (Rhema) im folgenden Passivsatz als Subjekt wiederaufgenommen werden und damit den Ausgangspunkt einer weiteren Aussage (Thema) bilden:
(Klein & Kleineidam 1994: 211)
Es werden hier - in transphrastischem Ansatz - vier Sätze präsentiert, die einen Text darstellen und ihrerseits als Teil eines längeren Textes konzipiert sind. Dargestellt wird die Rolle des Passivs zur Realisierung der Thema-Rhema-Abfolge, bei der das Passiv im gegebenen Beispiel in zwei Fällen die Ausrichtung des Themas (Ce livre in Satz 2 und Ces jeunes in Satz 4) und in einem Fall die Ausrichtung des Rhemas (une centaine de jeunes in Satz 3) sichert. Die jeweilige Platzierung dieser Themata in Subjektposition wäre ohne die Verwendung des Passivs nicht bzw. nicht unter Einhaltung der gewählten Registerebene möglich. Diese Darstellung ist im vorliegenden Falle eher diejenige einer Textgrammatik als diejenige einer Satzgrammatik. Für den Lerner hat diese - ausnehmend didaktische - Darstellung den Vorteil, dass er Sprache gleichsam in Aktion erlebt. Zugleich wird hier demonstriert, dass das Passiv nicht nur eine Alternativform des Aktivs ist, die ebenso genutzt werden wie ungenutzt gelassen werden kann, sondern dass es Funkionen übernehmen kann, die für einen gegebenen Text essentiell sind und die Lesefreundlichkeit erheblich erhöhen. Der eigentliche Wert des Passivs wird erst anhand von Beispielen wie dem hier gegebenen deutlich.
Dieser Ansatz wird in eine weiteren Behandlung des Passivs im Kapitel Unterschiedliche Konstruktionen in ihrer Beziehung zur Mitteilungsperspektive (Klein & Kleineidam 1994: 284ff) in vertiefter Form fortgeführt. Dort folgt auf eine allgemeine Darstellung von Aktiv und Passiv mit Blick auf die Mitteilungs­perspektive in einer beispielhaft veranschaulichten Aktiv-Passiv-Transformation (ibid.: 285) die Veranschaulichung der Thema-Rhema-Abfolge anhand dreier Beispiele, die hier aufgrund ihrer Bedeutung ebenfalls zitiert werden sollen. Für die Thema-Rhema-Abfolge in linearer Progression werden in der Grammatik zwei Beispiele gegeben, von denen sich das erste auf deren Realisation durch das Passiv in Hauptsätzen bezieht:

Chaque année, au mois de juillet, il y a le Tour de France.
Cette course cycliste est disputée sur plus de 4.000 km, en plus de vingt étapes.

La visite que devait effectuer M. Pierre Mauroy en Pologne les 17 et 18 décembre, a été reportée.
Ce report a cependant été décidé à la demande du gouvernement polonais (Presse-Océan 12-13/12/81).
Die Passivkonstruktion ermöglicht es, das Rhema des jeweils ersten Satzes (le Tour de France, a été reportée) im Folgesatz als Thema wieder aufzunehmen (cette course cycliste, ce report).
(Klein & Kleineidam 1994: 286)25
Diese Darstellung zeigt mit der bereits oben erwähnten und im ersten Beispiel zitierten Realisierung der Thema-Rhema-Abfolge eine wichtige Textfunktion des Passivs in praktischer Verwendung. Die Darstellung hier ergänzt die im oberen Beispiel gegebene und liefert zwei weitere Beispieltexte sowie eine detailliertere Differenzierung, indem hier die Unterscheidung zwischen der linearen Progres­sion und der Progression mit durchlaufendem Thema eingeführt wird, die zuvor nicht erwähnt worden war.
Es wird hier intentional eine starke Beziehung zwischen dem Passiv einerseits und der Thema-Rhema-Abfolge bzw. der Mitteilungsperspektive andererseits hergestellt. Diese doppelte Repräsentation in unterschiedlichen Kapiteln der Grammatik dient dem Lerner, der beide Beispiele mitsamt den dort gegebenen Kommentaren liest, als mnemotechnische Hilfe. Derjenige Lerner, der die Gram­matik nicht linear von vorn bis hinten liest - was ja die Regel sein dürfte -, hat durch diese doppelte Präsentation größere Chancen, auf diese Form der Text­erstellung zu stoßen.
Die Verfeinerung der Darstellung der Mitteilungsperspektive dient überdies dem Zweck, deren Affinität zum Passiv hervorzuheben, indem verdeutlicht wird,
  • dass im Wesentlichen zwei verschiedene Typen der Realisierung der Mitteilungsperspektive existieren,
  • dass das Passiv für beide und in beiden eine wichtige Rolle spielt und somit,
  • dass eine erhebliche Chance besteht, dass das Passiv in einer dieser Varianten zum Tragen kommt und somit für die Mitteilungsperspektive eine zentrale Bedeutung aufweist.
Insgesamt wird hier also eine Textfunktion des Passivs hervorgehoben, die sprachlich von großer Bedeutung ist und deren Beherrschung notwendig zu einer umfassenden Kenntnis des Französischen gehört.
Dass nicht nur die traditionelle Passivkonstruktion, also das être-Passiv mit und ohne Agensergänzung, sondern auch andere satzwertige Konstruktionen, die dem Passiv zugerechnet werden können - die passivische Relativsatzkonstruk­tion und die Partizipialkonstruktion - für die Mitteilungsperspektive von Bedeu­tung sind, wird im nächsten Beispiel deutlich:

Das Passiv erlaubt es auch, durch Relativsätze und Partizipialkonstruktionen mehrere Sätze zu einem Satzgefüge zu verbinden. Diese Konstruktionen ermöglichen eine ökonomische und gedrängte Information. Sie sind daher in der Zeitungssprache besonders verbreitet.
(Klein & Kleineidam 1994: 286)

Hier wird auf die textuelle Funktionalität passivischer Relativsätze und passivischer Partizipialkonstruktionen verwiesen, die eine dichte Informations­strukturierung erlauben und somit zu bestimmten Textsorten tendieren. Über die Pressesprache hinaus kann hier zudem auf die Rechts- und Verwaltungs­sprache verwiesen werden, in der den genannten Konstruktionen ähnliche Funk­tionen zukommen (Tinnefeld 1993: 208ff und 220ff). Die in dem zitierten Beispiel gewählte Darstellung ist textorientiert und geht ebenfalls über den Satzrahmen hinaus. Auch anhand dieser Darstellung wird deutlich, dass die Wahl des Passivs als Ausdrucksinstanz keineswegs zufällig ist, sondern vielmehr definierbaren Regeln der Informationsstrukturierung unterliegt. Diese Erkennt­nisse waren in der deutschen Grammatikographie des Französischen bis dato nicht beschrieben worden.
Im Verhältnis zu den zuvor zitierten Beispielen geht diese Darstellung in der Weise über jene hinaus, als die lineare Progression hier weiter untergliedert wird - einmal mit Blick auf die Ebene des Hauptsatzes und einmal mit Blick auf die Ebene satzwertiger Konstruktionen, die beide ihrerseits Auswirkungen auf die Textkonstitution haben. Während das Passiv in Klein & Strohmeyer (1958) ausschließlich auf der Ebene des Hauptsatzes beschrieben worden war, wird in Klein & Kleineidam (1994) somit eine weitere Beschreibungsebene gewählt. Der Grammatik des heutigen Französisch ist in Bezug auf das Passiv somit auch das Verdienst zuzuschreiben, die Bedeutung des Passivs auch auf diese Beschrei­bungsebene erweitert und somit die sprachliche Realität weit adäquater, als dies bis dato der Fall gewesen war, abgebildet zu haben.
Die Beschreibung der Mitteilungsperspektive wird in Klein & Kleineidam (1994) um eine weitere Variante ergänzt, die Progression mit durchlaufendem Thema:
Die Passivkonstruktion ermöglicht es, im Wechsel mit dem Aktiv, la tour Eiffel als durchlaufendes Thema aufrechtzuerhalten.
(Klein & Kleineidam 1994: 286; Hervorhebungen im Original)
In diesem transphrastisch angelegten, insgesamt drei Sätze umfassenden Beispiel wird die textuelle Funktionalität des Passivs dargestellt, die durch die Sachzentrierung eine äußerst lesefreundliche Informationsenkodierung gewähr­leistet. Hier reicht die Satzgrammatik - zum Wohle der Lerner - erneut deutlich in den Bereich des Textes hinein und zeigt das Funktionieren transphrastischer Kombinatorik auf. Auch an diesem Beispiel wird - selbst wenn dies nicht explizit erwähnt wird - deutlich, dass die Wahl des Passivs bei der Versprachlichung von Informationen keine zufällige ist; sie ist vielmehr durch textlinguistische Zusam­menhänge motiviert, und ihre Verwendung ermöglicht eine ungleich höhere Rezeptionsfreundlichkeit, als sie allein durch Verwendung des Aktivs erreicht werden könnte. Erneut ist es das Verdienst von Klein & Kleineidam (1994), diese Zusammenhänge einer breiten Leser- und Lernerschaft - die in aller Regel keine linguistische Fachliteratur liest - verdeutlicht zu haben.
Im Hinblick auf die Darstellung des Passivs in Klein & Kleineidam (1994) kann somit festgehalten werden, dass sie:
  • aufgrund der in der Zwischenzeit erfolgten Weiterentwicklung der Lingu­istik weitaus umfassender ist als in Klein & Strohmeyer (1958),
  • das Funktionieren von Passiv und satzwertigen Passivkonstruktionen (Relativsatz und Partizipialkonstruktion) auf Satz- und vor allem auf Text­ebene zeigt,
  • eine enge Beziehung erstellt zwischen dem Passiv einerseits und der Mit­teilungsperspektive (Thema-Rhema-Abfolge) andererseits,
  • in ihrer Reichweite deutlich in den Bereich der Textlinguistik hineingreift,
  • das Passiv implizit als eine sprachfunktional begründete Ausdrucksoption zum Aktiv ausweist und
  • nicht zuletzt ausgeprägt didaktisch orientiert ist.
Die Verdienste dieser Grammatik haben - hier in Exemplifizierung des Passivs - die französische Grammatikographie entscheidend vorangebracht.
Kommen wir nun zu der Darstellung des Passivs in der dritten hier untersuchten Grammatik, derjenigen von Dethloff & Wagner.

3.4 Dethloff & Wagner: Die französische Grammatik (2002)
In Dethloff & Wagner (2002) wird das Passiv zunächst im Rahmen der Morphologie behandelt und am Beispiel des Verbs aimer in seinen verschiede­nen Formen dargestellt (ibid: 176f). Während die Passivkonjugation in Klein & Strohmeyer (1958: 44) und Klein & Kleineidam (1994: 116) innerhalb der Verbkonstruktionen mit être behandelt wird, erhält sie hier eine separate formale Darstellung. Im eigentlichen Passivkapitel ist die Darstellung, wie bereits oben erwähnt, in die sogenannte Grundstufe (Dethloff & Wagner 2002: 328), die sogenannte Aufbaustufe (ibid.: 333) und das Repetitorium (ibid.: 344) eingeteilt. Im Vergleich aller untersuchten Grammatiken ist diese Darstellung die ausführ­lichste. Im Rahmen der Grundstufe wird zunächst zwischen dem persönlichen Passiv, bei dem das Subjekt vor der Verbform steht (Beispiel: La voiture a été réparée; ibid.: 328, Hervorhebung im Original), und dem unpersönlichen Passiv mit vorangestelltem grammatischen Pronominalsubjekt und nachgestelltem "(Sinn)-Subjekt" (Beispiel: Il a été volé une moto et deux bicyclettes; ibid.: 328) unterschieden. Dabei ist die Behandlung des unpersönlichen Passivs so früh in diesem Kapitel und zudem im Rahmen der Grundstufe diskutabel. An dieser Stelle erwartbar ist hingegen die hiernach folgende Darstellung der Aktiv-Passiv-Transformation mit Hinweisen auf deren Beschränkungen bei intransitiven Verben (ibid.: 328ff).
Wie bei Klein & Kleineidam (1994: 209) wird auch bei Dethloff & Wagner (2002: 330) zwischen Vorgangs- und Zustandspassiv unterschieden, die als "Typen von Passivsätzen" (ibid.) ausgewiesen werden. Die in dem von uns untersuchten Grammatikrahmen von Klein & Kleineidam eingeführte, unterscheidende Dar­stellung von Handlungs- und Zustandspassiv wird hier also fortgeführt. Im Ver­gleich zu Klein & Strohmeyers (1958: 91f) Darstellung des Zustandspassivs ergibt sich hier somit ein wesentlicher Fortschritt (vgl. 3.2). Dabei gibt Die französische Grammatik als einzige Grammatik konkrete Regeln für die Identifikation des französischen Vorgangspassivs an:
Ein Vorgangspassiv kann im Französischen nur unter folgenden Voraussetzungen gebildet werden:
1. wenn eine Agensergänzung mit par folgt (d.h. eine Ergänzung, in der der Hand­lungsausführende oder -urheber genannt wird):
       La maison est fermée par le concierge.
       Das Haus wird vom Hausmeister abgeschlossen.

  1. wenn das verwendete Verb in Verbindung mit être grundsätzlich einen Vorgang oder eine Handlung, also keinen Zustand ausdrückt (z.B. attendre, enseigner, importer, interroger, jouer, lire, montrer, observer, opérer, rembourser, surveiller):
      Ce soir, nous sommes attendus (chez nos voisins).
      Heute abend werden wir (bei unseren Nachbarn) erwartet.
(...)
3. wenn das Verb in einer Zeitform der Vergangenheit steht, welche die Abgeschlossenheit der Handlung / des Vorgangs betont, d.h. im passé simple, passé composé, plus-que-parfait, passé antérieur oder conditionnel passé:
      Il fut admis (à l'oral), il a été admis, il avait été admis. Après qu'il eut été admis... Il aurait été admis si... Er wurde (zum Mündlichen) zugelassen. Er ist / war zugelassen worden. Nachdem er zugelassen worden war... Er wäre zugelassen worden, wenn...

4. wenn auf die Gegenwarts- oder Vergangenheitsform des Verbs (présent / imparfait) eine nähere Bestimmung oder eine Zeitangabe folgt: Die Zeitangabe beinhaltet dabei insbesondere eine Wiederholung oder eine Zeitdauer:
      Cet article est vendu dans tous les magasins.
      Dieser Artikel wird in jedem unserer Läden verkauft. (= nähere Bestimmung)
(...)
(Dethloff & Wagner 2002: 330f; Hervorhebungen im Original)
Zusammen mit dem nach dieser Auflistung von Bedingungen folgenden Hinweis, dass bei Vorliegen keiner dieser Voraussetzungen ein deutsches Vorgangspassiv mittels einer passivischen Alternativkonstruktion (meist on) realisiert werden muss (ibid.: 331), ergibt sich hier eine Konkretheit der Darstellung, die für den Lerner gegebenenfalls nicht unmittelbar verständlich ist, die jedoch dann, wenn sie gedanklich durchdrungen worden ist, bei der Versprachlichung französischer Äußerungen eine wichtige Hilfe bietet. Ein Vorliegen des Zustandspassivs wird wie folgt definiert:
Ein Zustandspassiv liegt im Französischen unter folgenden Voraussetzungen vor:
Das Verb des Passivsatzes steht ohne jede Ergänzung im Präsens, Imperfekt oder Konditional I und bezeichnet einen Zustand oder ein Ergebnis. (Dabei handelt es sich um ein Verb, das von seiner Bedeutung her sowohl einen Zustand / ein Ergebnis als auch einen Vorgang bezeichnen kann.)
Ma montre est arrêtée.                    → Meine Uhr steht.

Le pont était déjà construit.            → Die Brücke war bereits gebaut.

La ville serait détruite si...               → Die Stadt wäre zestört, wenn...
(...)
(Dethloff & Wagner 2002: 331f; Hervorhebungen im Original)
Diese Darstellung stellt einen erheblichen grammatikographischen Fortschritt der Passivbeschreibung dar, da das Zustandspassiv, das von Klein & Strohmeyer in seiner Existenz als Passivform gleichsam negiert worden war, hier nicht nur als formal gleichberechtigt neben dem Zustandspassiv ausgewiesen wird, sondern auch eine klare Abgrenzung zum Vorgangspassiv vorgenommen wird, die dem Lerner konkrete Verwendungshinweise gibt. Die Darstellung hat hier somit eine höhere Stufe der Konkretisierung erreicht.
Dabei ist die von Dethloff & Wagner vorgelegte Grammatik anders ausgelegt als die Grammatik des heutigen Französisch von Klein & Kleineidam, in der eine Vielzahl farblich unterlegter und oft mit Pfeilen und anderen Hervorhebungen versehener Übersichten enthalten ist, die eine der Stärken dieser Grammatik ausmachen. Die französische Grammatik von Dethloff & Wagner erreicht diesen hohen Standard funktionalen Layouts nicht; ihre Stärke ist in diesem Zusammenhang - wie aus dem soeben angeführten Zitat ersichtlich - eher in den jeweiligen Hervorhebungen in den Kommentaren (Fettdruck) zu sehen, die nicht selten stichwortartige Zusammenfassungen des im jeweiligen Text Ausgedrück­ten repräsentieren.
Die Unterscheidung zwischen den Agensergänzungen36 mit par und de wird - wie alle ab hier aus Dethloff & Wagner (2002) zitierten Aspekte - im Rahmen der Aufbaustufe dieses Kapitels behandelt. Auch hier ist die vorliegende Grammatik am ausführlichsten (ibid.: 338ff). Auch hier wird - anhand einer Vielzahl von Beispielen - die Agensergänzung mit par als Ausdrucksmöglichkeit für die Ver­sprachlichung der "eigentlichen" Bedeutung und diejenige mit de für die Verbalisierung der "übertragenen" Bedeutung ausgewiesen (ibid.: 339). Auch hier werden ganz konkrete Handlungsanweisungen für den korrekten Gebrauch beider gegeben.
Als ein großes Anliegen der Grammatik von Dethloff und Wagner können deren Ausführungen zum "Passiversatz durch aktivische Alternativkonstruktionen" (Dethloff & Wagner 2002: 334ff) gewertet werden. Wie bei Klein & Kleineidam werden auch hier die aktivische Konstruktion mit on, die Reflexivkonstruktion mit passivischem Sinn und reflexive Hilfsverben mit passivischem Sinn unter­schieden (ibid.: 334ff). Von diesen sei hier für einen direkten Vergleich mit Klein & Kleineidam wieder die Reflexivkonstruktion mit passivischem Sinn heraus­gegriffen, deren Kapitel der Anschaulichkeit halber auch hier in Gänze zitiert wird:
Das Französische umschreibt viel häufiger als das Deutsche eine Passivkonstruktion mit Hilfe von reflexiven Verben. Dieses "reflexive Passiv" wird durch die sog. verbes pronominaux à sens passif gebildet.
Im Deutschen sagt man zum Beispiel: "Dieses Buch verkauft sich gut." / "Dieses Buch wird gut verkauft." Im Französischen benutzt man fast ausnahmslos die reflexive Form: Ce livre se vend bien.

Das reflexive Passiv wird benutzt, wenn folgende zwei Kriterien erfüllt sind:
  • Es liegt keine Agensergänzung vor; es wird also kein Urheber genannt.
  • Das Subjekt ist ein Sachsubjekt, also kein Personensubjekt.
Zudem stehen die Verben meist (aber nicht zwangsläufig) in einer Zeitstufe der Gegenwart:

Beispiele:

Traditionnellement, Noël se fête en famille.
Traditionell wird Weihnachten im Familienkreise gefeiert. (Im Deutschen ist: *"feiert sich" nicht möglich.)
Les romans d'Agatha Christie se lisent toujours avec plaisir.
Die Romane von Agatha Christie werden immer noch gerne gelesen. (*"lesen sich gern" ist nicht möglich, allenfalls 'lesen sich gut.")
(...)
(...)
Le match retour se disputera à Munich.
Das Rückspiel wird in München ausgetragen.
(...)
(...)
Tout d'un coup, la parte s'est fermée.
Plötzlich wurde die Tür geschlossen.
(...)
(...)

Anmerkung:

Das reflexive Passiv kann keine Person als Subjekt haben, weil die Reflexiv­konstruktion mit Personensubjekt einem anderen Sinn entspricht:

Les chemises en soie se lavent à la main.
Seidenhemden werden von Hand gewaschen.
On a l'impression que ces gens ne se lavent pas.
Man hat den Eindruck, dass diese Leute sich nicht waschen.
(Dethloff & Wagner 2002: 335f; Hervorhebungen im Original)

Die vorliegende Darstellung ist in dem Sinne mit derjenigen von Klein & Klein­eidam vergleichbar, als der Geltungsbereich des Passivs auch hier durch die Herausarbeitung des passivischen Potentials der Reflexivkonstruktion erweitert wird. Die Notwendigkeit des Fehlens einer Agensergänzung und des Vorhanden­seins eines Sachsubjekts für die Verwendung dieser Konstruktion wird auch hier entsprechend ausgewiesen. In beiden Grammatiken fehlt jedoch ein Hinweis auf die Notwendigkeit des Vorhandenseins eines Adverbs oder einer adverbialen Bestimmung. So ist es möglich zu sagen: Cette porte s'ouvre sans bruit, nicht jedoch *Cette porte s'ouvre.
Auch ein Vergleich mit dem Deutschen wird vorgenommen, wobei aufgrund seines hohen Illustrationswertes sogar derselbe Beispielsatz verwendet wird. Bei Dethloff & Wagner wird die Sprachsystematik des Deutschen dabei mehr in den Mittelpunkt gerückt als bei Klein & Kleineidam, wo die jeweils relevanten Passagen zwar ebenfalls ins Deutsche übersetzt, jedoch nicht mit im Deutschen möglichen oder unmöglichen Varianten versehen werden.
Zudem stellen Dethloff & Wagner die Unterschiedlichkeit der passivischen Refle­xivkonstruktion mit dem für sie notwendigen Sachsubjekt gegenüber der aktivischen Reflexivkonstruktion mit Personensubjekt heraus - eine Unterschei­dung, die bei Klein & Kleineidam weithin implizit bleibt. Dafür erwähnen Klein & Kleineidam (1994: 212) einen möglichen semantischen Unterschied zwischen Reflexivkonstruktion und être-Passiv.
Im Unterschied zu beiden zuvor behandelten Grammatiken weisen Dethloff & Wagner andere Formen von Passivumschreibungen auf, die sich auf "Verben oder verbale Wendungen mit passivischer Valenz, Adjektive, die auf das Suffix -able oder -ible enden" beziehen (Dethloff & Wagner 2002: 338; Hervorhe­bungen im Original). Gemeint sind hiermit Sätze wie Ce problème a fait l'objet / a été l'objet de nombreuses études scientifiques ( Dieses Problem wurde in zahlreichen wissenschaftlichen Studien untersucht) oder auch Ces réformes sont incontournables (Diese Reformen sind unausweichlich / unumgänglich ( = können nicht umgangen werden) (ibid.; Hervorhebungen im Original). Mit dieser Darstellung verfolgt die vorliegende Grammatik den breitesten Ansatz aller untersuchten Grammatiken, wobei ihr jedoch zugestanden werden muss, dass dieser Ansatz sowohl die sprachliche Realität als auch die Notion Passiv korrekt abbildet. An dieser Einschätzung wird deutlich, wie weit sich die Grammatiko­graphie seit Kleins & Strohmeyers Einschätzung des Zustandspassivs als "unech­te Passivform" bis heute weiterentwickelt hat - und dies in einer Weise, die die Tragweite und die Wichtigkeit des Passivs zur Geltung bringt.
Wenn somit auch einige - meist geringfügige Unterschiede - zwischen beiden Darstellungen bestehen und zu erkennen ist, dass Klein & Kleineidam bei vergleichbarer Länge der Darstellung ein wenig mehr in die Tiefe gehen, so ist doch zu konstatieren, dass auch Dethloff & Wagner dem aktuellen grammatiko­graphischen Trend folgen und die traditionelle Notion Passiv durch Einbeziehung von Alternativkonstruktionen in ihrem Geltungsbereich erweitern und so der sprachlichen Realität Rechnung tragen. Die in dem von uns untersuchten Rahmen von Klein & Kleineidam vorgenommene Weiterentwicklung wird von Dethloff & Wagner fortgeschrieben und auf diese Weise bestätigt.
Wie Klein & Kleineidam behandeln auch Dehloff & Wagner die Leistung des Pas­sivs zur Realisierung der thematischen Progression:
Im Textzusammenhang trägt die Passivkonstruktion zur Textkohärenz insofern bei, als die Informationsabfolge mit Hilfe einer durch keinerlei Brüche behinderten the­matischen Progression transparent gemacht wird:
  • Die Passivkonstruktion ermöglicht insbesondere in einem Anschlusssatz die Voranstellung des thematisch Wichtigen (in Form eines Subjekts) und ge­währleistet somit einen besseren Kontextanschluss.
  • Die Verwendung des Passivs erlaubt des Weiteren gezielte Kommunikations­strategien wie z.B. die Stellung von Satzaussage und Personenagens an das Satzende, wo der Mitteilungswert sehr groß ist.
  • Die Passivkonstruktion führt zu einer Entpersonalisierung der Aussage, wenn das Agens unbekannt ist oder nicht genannt sein soll ("das Verschweigen des Urhebers").
Diese von der Mitteilungsperspektive her motivierten Kriterien der Passivverwen­dung im Französischen treffen im Übrigen auch auf das Deutsche zu, so dass die textuellen Aspekte des Passivs im Französischen und im Deutschen praktisch übereinstimmen.
Französisch Deutsch

Le gouvernement a adopté les mesures d'austérité budgétaire qui avaient déjà été annoncées (1) à la presse, il y a trois semaines. Ces mesures seraient vivement con­testées (2) au sein de la majorité et il y aurait même des rumeurs selon lesquelles le Premier ministre a été poussé (3) à démissionner. Il a d'ailleurs été précisé (4) que ces mesures devaient entrer en vigueur dès la mi-août, date qui a évidem­ment été choisie par la classe politique (5) pour profiter de l'ab­sence des Français en vacances.

Die Regierung hat die Sparmaßnahmen beschlossen, die der Presse bereits vor drei Wochen angekündigt worden wa­ren. Diese Maßnahmen sollen innerhalb der Regierungskoalition heftig umstrit­ten sein. Es soll sogar Gerüchte geben, wonach der Premierminister zum Rück­tritt gedrängt worden sei. Es wurde im Übrigen darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen Mitte August in Kraft treten sollen, einem Zeitpunkt, der von den Politikern natürlich gewählt wurde, damit ihnen die ferienbedingte Abwe­senheit der Franzosen zustatten kommt.



(Dethloff & Wagner 2002: 342; Hervorhebungen im Original)
Im Anschluss an dieses Zitat folgt eine textgrammatische Analyse der im franzö­sischen Beispieltext durchnummerierten und dort fettgedruckten Elemente. Im Anschluss daran wird diese Form "passivischen Stils" als in der Presse- und Mediensprache beobachtbar ausgewiesen (ibid.: 343).
Ebenso wie in Klein & Kleineidam (1994) wird das Passiv auch hier als eine Kon­struktion ausgewiesen, die dazu beiträgt, die Mitteilungsperspektive im Sinne der Thema-Rhema-Gliederung zu realisieren. Diese Beziehung, die Klein & Klein­eidam aus der linguistischen Forschung einem ungleich breiteren Publikum verfügbar machen, wird also auch hier erstellt, was als ein wichtiges Kriterium der Qualität auch des Passivkapitels von Dethloff & Wagner darstellt. Dabei ist die Darstellung auch hier stark an der sprachlichen Realität orientiert. Was jedoch hier vollkommen anders ist als in Klein & Kleineidam, ist die Funktionali­tät von Darstellung und Layout. Während in der Grammatik des heutigen Französisch mit Hilfe graphischer Elemente die funktional wirksam werdenden Textbezüge herausgestellt werden und dabei das jeweilige Thema und das jewei­lige Rhema identifiziert und so auf den ersten Blick ersichtlich wird, wird bei Dethloff & Wagner ausschließlich mit verbalen Erklärungen und Analysen gear­beitet. Diese sind jedoch für den Lerner nicht so unmittelbar ersichtlich, wie dies für graphische Elemente gilt. Die detaillierte textuelle Analyse, die im Anschluss gegeben wird (Dethloff & Wagner 2002: 343), kann diese didaktische Qualität nicht in vergleichbarer Weise erreichen.
Auch Dethloff & Wagner nehmen hier also den wichtigen Schritt von der reinen Satzgrammatik zur einer Satzgrammatik mit ausgeprägtem Textbezug vor. Auch sie erkennen die Notwendigkeit, der Einbeziehung der textuellen Perspektive an den dafür relevanten Stellen. Dieses Faktum zeigt eindrücklich, dass mit diesem Schritt, der in den 1980er Jahren eingeleitet wurde, ein wichtiger Paradigmen­wechsel vorgenommen wurde, der seine Gültigkeit bis heute behalten hat und aller Voraussicht nach auch weiterhin behalten wird.
Dieses Ergebnis, das hier durchaus generalisiert werden kann, verweist darauf, dass die Grammatik des heutigen Französisch im Kontext der hier verglichenen Grammatiken die mit Abstand didaktischste ist, die den Lernern die besten Mög­lichkeiten bietet, die jeweils dargestellten Inhalte zu verstehen.

4 Abschließende Bemerkungen
Die hier vorgenommenen Beschreibungen und Reflexionen haben in einem wohl definierten und ebenso begrenzten Bereich - der Grammatikographie des Pas­sivs in drei ausgewählten Grammatiken des Französischen - gezeigt, dass die Grammatikographie der vergangenen Jahrzehnte eine enorme Entwicklung durchlaufen hat, die durch erhebliche Fortschritte gekennzeichnet ist. Sie hat dabei die Entwicklung der Linguistik von der Ebene der Syntax hin zu derjenigen der Textlinguistik nachverfolgt und Satzgrammatiken mit mehr oder minder aus­geprägten textlinguistischen bzw. textgrammatischen Zügen hervorgebracht.
Im Einzelnen konnten die folgenden Entwicklungen festgestellt werden:
  • die Veränderung des Verständnisses des Zustandspassivs von einer "un­echten" Passivform hin zu einer etablierten passivischen Ausdrucksweise,
  • die Anerkennung formal aktivischer Konstruktionen mit passivischem Sinn als gleichsam offizielle Passiv(ersatz)formen und
  • die Realisierung der Thema-Rhema-Gliederung mit Hilfe des Passivs und seinen verschiedenen formalen Ausdrucksformen (être-Passiv, passivi­scher Relativsatz und passivische Partizipialkonstruktion).
Die Modifikation des Verständnisses der Zustandspassivs von einer "unechten" zu einer echten Passivform erweitert den grammatikographischen Geltungsbe­reich des Passivs erheblich. Dieses neue Verständnis basiert zwar auf der entsprechenden deutschen, formal festzumachenden Unterscheidung, ist je­doch auch im französischen Kontext von Bedeutung, denn auch dort unterliegt den Formen, die als Zustandspassiv verstanden werden können, ein Ergebnis­bezug, d.h. der Handlungsbezug tritt auch dort in den Hintergrund. Mit dieser Modifikation hat die Grammatikographie des Französischen in diesem Bereich somit einen wichtigen Schritt hin zu einer funktionaleren Sprachbeschreibung vollzogen.
Diese Feststellung ist ebenso auf die Inklusion der passivischen Alternativfomen in den Objektbereich Passiv anwendbar: Auch in dieser Hinsicht ist der Geltungs­bereich des Passivs in der Grammatikschreibung gestärkt worden; die Aufnahme der entsprechenden Konstruktionen in den Geltungsbereich des Passivs war bis dato ein grammatikographisches Desiderat gewesen, das nun erfüllt ist. Dabei wäre es aus unserer Sicht sogar sinnvoll, noch einen Schritt weiterzugehen und diese Konstruktionen - auch wenn sie formal Aktivkonstruktionen darstellen - nicht nur als "Passiversatz" auszuweisen, sondern vielmehr als zusätzliche Passivkonstruktionen. Nur wenn dieser bislang ausstehende Schritt vollzogen wird, wird diesen Konstruktionen im Rahmen der französischen Grammatiko­graphie die Bedeutung zugemessen werden, die ihnen qualitativ zukommt.
Die wichtigste Weiterentwicklung im Rahmen der Grammatikographie des Pas­sivs ist durch eine Berücksichtigung von dessen Leistungen für die Textkonstitution gekennzeichnet. Diese Leistungen können letztlich nur dadurch adäquat beschrieben werden, dass das Passiv in seiner textuellen Reichweite berücksichtigt wird. Nur durch eine derart ausgerichtete Beschreibung ist gewährleistet, dass das Passiv nicht lediglich als eine beliebig wählbare Alterna­tivkonstruktion zum Aktiv ausgewiesen wird, sondern dass deutlich wird, dass es eine funktional ausgerichtete, in bestimmten Kotexten und bestimmten Kontex­ten nahezu zwingend zu verwendende Ausdrucksoption darstellt. Das Verdienst dieser Beschreibung kommt sowohl Klein & Kleineidam als auch Dethloff & Wag­ner zu. In Zukunft wird sich zeigen, ob diese Entwicklung weitergehen und das Passiv in Grammatiken des Französischen in noch größerem Umfang textlingu­istisch dargestellt werden wird - mit noch mehr und noch detaillierteren Be­schreibungen und noch zahlreicheren didaktisch ausgerichteten Beispielen.
Die vorliegende Untersuchung, die sich auf herausragende Grammatiken des Französischen ihrer jeweiligen Zeit bezieht und deren Untersuchungsbereich somit bewusst begrenzt worden ist, hat gezeigt, dass diese Grammatiken in Be­zug auf das Passiv - und, dies sei hier hinzugefügt, nicht nur in Bezug auf dieses - auf der jeweiligen Höhe ihrer Zeit waren und - wie im Falle von Klein & Kleineidam hinsichtlich der von ihnen beschriebenen Textfunktionen des Passivs - der eigenen Zeit durchaus voraus waren. Es sei hier die Hoffnung ausgedrückt, dass die positive Entwicklung, die hier dokumentiert worden ist, sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch über das Passiv hinaus fortsetzen und die grammatikographische Beschreibung die richtige Balance zwischen der Exaktheit der linguistischen Analyse, der Ausrichtung an der jeweils aktuellen sprachlichen Realität und der Verständlichkeit der Darstellung finden wird.

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1  Dies geschieht durchaus in dem Bewusstsein der Existenz solcher Grammatiken wie Confais (21980) und Haas / Tanc (31987), die im vorliegenden Kontext sicherlich nicht unwichtig sind, die jedoch nicht die Bedeutung der hier untersuchten Grammatiken erlangen konnten und aus diesem Grunde hier nicht eingehend behandelt werden.
2  Vgl. hierzu auch Kleineidam (1986: 78), der die in Klein / Strohmeyer vorgenom­mene Abkehr von der präskriptiven Norm als "halbherzig" charakterisiert.
3  Vgl. zu der - prospektiv ausgerichteten - Grammatikographie des Passivs ergänzend auch Tinnefeld (1992).
41Die aus den untersuchten Grammatiken stammenden Zitate werden jeweils nach den entsprechenden Seitenzahlen, nicht jedoch nach den Paragraphen zitiert.
52Hass / Tanc (31987) geben hier ein ähnliches Beispiel:
En ce moment, je lis « Vol de Nuit » de St. Exupéry. Ce roman m'a été recommandé par mon correspondant français. (Hass & Tanc 31987: 222; Hervorhebungen im Original).

63Der Begriff Agens wird ebenfalls in dieser Grammatik verwendet, was positiv zu bewerten ist.