Die religiöse Komödie
Abraham et Agar Gérard Du Viviers –
Ein Blick auf Grammatikographie und Fremdsprachen-
unterricht im Deutschland des 16. Jahrhunderts


Angela Weißhaar (Göttingen / Bremen)


Abstract
In dem vorliegenden Beitrag geht es um den Einsatz einer von einem Sprachlehrer verfassten religiösen Komödie für den eigenen Französischunterricht im Kontext des Sprachunterrichts jener Zeit. Hierzu werden zunächst der Autor, ein Flüchtling aus den Niederlanden, und sein Werk vorgestellt. Die Handelsstadt Köln hatte eine besondere Bedeutung für die Entwicklung des Französischunterrichts. Dazu gehört ebenfalls die Rolle des religiösen Schultheaters - sowohl im protestantischen als auch im katho­lischen Kontext -, wobei die vor Du Viviers Schule gegründete jesuitische Schule des Tricoronatums mit seinen Unterrichtstraditionen ein Vorbild für Du Vivier abgab. In diesem Gesamtzusammenhang soll Du Viviers Theaterstück Abraham et Agar näher beleuchtet werden. Die Widmungen seiner Werke geben einen zusätzlichen Einblick in die pädagogisch-didaktischen Hintergründe der damaligen Zeit.


1 Der Autor Gérard Du Vivier

Gérard Du Vivier, ein Kölner Sprachmeister des 16. Jahrhunderts und auch unter dem Namen De Vivre bekannt, ist einer der ersten Grammatikautoren des Fran­zösischen in Deutschland. Doch nicht nur Grammatiken gehören zu seinem für die eigenen Schüler erstellten Werk. Es umfasst neben drei Grammatiken (1566, 1568, 1574) (Greive 1993, Holtus 1997, Weißhaar 1997 und 2000a) ein
  • Synonymwörterbuch (Bierbach 1997a, b, c),
  • Gesprächsbücher (Bierbach 1997c, Weißhaar 2000b: 257),
  • Komödien (Weißhaar 2000b, 2001) und
  • ein Gedicht (Weißhaar 2002).
Die Lebensdaten Du Viviers sind nicht genau bekannt (van Selm 1977: 211). Sicher ist es, dass er in Gent geboren wurde und dass seine Muttersprache das Flämische war. Diese Informationen finden sich im Vorwort der Grammatik von 1568. Im Jahre 1563 kam er nach Köln. Die Gründe hierfür stellt er im Vorwort seiner Synonimes aus dem Jahr 1565 dar: politische und religiöse Unruhen in den Niederlanden, die zur Folge hatten, dass viele Menschen das Land ver­ließen. Köln galt zur damaligen Zeit als freie Stadt, und Du Vivier baute dort ab 1564 eine Schule auf - einem Jahr, in dem die Immigration von Exulanten jedoch noch nicht so umfangreich war. Diese nahm erst in den nachfolgenden Jahren zu (Zwierlein 2010: 121).
Das Französische fungierte zu jener Zeit als Handelssprache zwischen deutschen und französischen Händlern, aber auch unter Händlern anderer Länder (Kelz 1994), und es galt als Kultur- und Prestigesprache (Baddeley 2013: 3f.). Von daher wurden die Kenntnisse dieser Fremdsprache in mehrfacher Hinsicht nach­gefragt.
Mit der ersten, auf Deutsch verfassten Französisch-Grammatik Du Viviers von 1566 führte der Autor die erst einige Jahre zuvor - etwa um 1550 - in Antwerpen entstandene, vernakularsprachliche Grammatiktradition fort. Bis dato waren fremdsprachliche Grammatiken üblicherweise auf Latein verfasst. So wandte Du Vivier sich - neben den in Köln ansässigen Exulanten - besonders an die Kölner Kaufmannschaft:
Auch de Vivres Bücher-Bestellungen im gleichen Jahr bei Christophe Plantin, dem französischen Inhaber der damals größten Druckoffizin und des größten, auch internationalen Buchhandels Europas überhaupt [in Antwerpen; A.W.], belegen, dass er zu Beginn sogar primär auf die hochdeutschen Kölner zielte: De Vivre bestellte 1566 sechs der gerade erschienenen Terenz-Übersetzungen sowie sechs Exemplare der französisch-lateinischen Grammatik des Jean Pilotus - vielleicht wa­ren die Exemplare seiner deutsch-französischen Grammatik schon ausgegangen (Zwierlein 2010: 110).
Die Widmungen, die Du Vivier seinen Grammatiken vorausschickte, geben Aufschluss über die von ihm erhoffte Kundschaft: Seine Grammatik von 1568 widmete Du Vivier dem Kölner Stadtrat, um sich die Gunst der Ratsherren - und somit insbesondere auch Kundschaft - zu verschaffen. Die Widmung ist zwei­sprachig gehalten. Die französische Version z.B. überschreibt er mit EPISTRE; A MESEIGNEVRS MESSIEVRS LES BOVRGMAISTRES CONSEILLIERS & BOURGEOIS, de la Ville de Couloigne. Du Vivier teilt mit, er habe vier oder fünf Jahr zuvor von den genannten Herren die Erlaubnis erhalten, die Jugend in der französischen Sprache zu unterrichten, und sich dabei mehr als andere Sprachmeister be­währt. Offenbar hatten andere Sprachmeister ihre Tätigkeit bald wieder abge­brochen. Der mögliche Grund dafür sei seiner Meinung nach, dass es den meisten Schülern schwierig oder sogar unmöglich erschien, die französische Sprache in diesem Land zu erlernen. Diese Meinung sei so verwurzelt im Denken des gemeinen Volkes, dass sich wenige bereitgefunden hätten, dieses Unter­nehmen anzugehen. Immerhin hätten jedoch bereits einige der Kölner Bürger seine Schule durchlaufen, was als Beweis von Du Viviers Fähigkeiten zu sehen sei. Es gelte nun, dass alle Bürger diese Sprache lernen könnten, d. h. sie zu lesen, zu schreiben und sogar perfekt zu reden und auszusprechen. Die Erler­nung der französischen Sprache diene dem Wohle der Republik. Und diejenigen, die die Geduld aufgebracht hätten, nur ein Jahr an seiner Schule durchzuhalten, hätten mehr davon profitiert als jene, deren Eltern sie zwei oder drei Jahre nach Frankreich oder anderswohin geschickt hätten (Du Vivier 1568: 3ff.).
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Widmungen des Flamen Du Vivier, der im übrigen an seiner Schule auch Arithmetik unterrichtete, an Mitglieder des Stadtrates sich an die reichsten Männer der Stadt richteten.
Kuhfuß (2014) verweist darauf, dass die Söhne reicher Kaufleute, die für eine sogenannte grand tour ins Ausland - in diesem Falle nach Frankreich - gingen, neben umfangreichen Französischkenntnissen „gutes Benehmen und horizont­erweiternde Erfahrungen für die Übernahme eines hohen Amtes in der Stadt­verwaltung und für das urbane Leben“ (Kuhfuß 2014: 226) erwerben sollten. So lässt sich die Widmung an den Kölner Stadtrat sicherlich auch als Hinweis darauf verstehen, dass Letzterer selbst in Zukunft für seine eigene Arbeit vom Unter­richt des Autors profitieren könne, da potentielle Neumitglieder des Rates ihre erwünschte fremdsprachliche Bildung nicht mehr im Ausland erwerben müss­ten, sondern dieses direkt bei Du Vivier tun könnten. Als Beweis für sein ernst zu nehmendes Engagement widmet Du Vivier den genannten Herren sein Werk und bietet seine Dienste an:
Singulierement au faict de l’instruction des enfants, qu’il vous plaira m’envoyer pour les instruire en toutes bonnes mœurs, & leur enseigner diversité de langages, & l’art d’Arithmetique. (Du Vivier 1568: 5)
Wenn der Autor auf dem Titelblatt seiner Grammatik von 1568 schreibt, sie sei „Gedruckt zu Cöllen fur Margarden1 / Bey Heinrich von Aich in kösten des Au­thors“, so mag dies auch ein Hinweis auf mögliche eigene finanzielle Sicher­heiten des zugewanderten Genter Bürgers sein, um sein Ansehen bei den Adres­saten seiner Widmung zu heben und eine Klassenverwandtschaft zu suggerieren - mit dem Zweck, ihm neben einer einfacheren Clientèle ebenso ein finanzkräf­tiges Schülerpotential zu erschließen. Eine mögliche finanzielle Unterstützung durch den Stadtrat wird nicht angesprochen. Überlicherweise handelte es sich bei den Sprachmeistern um nicht sehr wohlhabende Lehrer. Das Verlegen der Grammatik durch den Autor selbst mag zum einen ein indirekter Hinweis darauf sein, dass zumindest er aufgrund seines besonderen Unterrichtstalentes bereits einigen finanziellen Erfolg gehabt habe. Zum anderen entstammt Du Vivier of­fenbar selbst einer Drucker- und Verlegerfamilie (Anm. 1).
Das Argument Du Viviers, bei ihm könne man das Französische wesentlich schneller und günstiger als auf einer langwierigen Auslandsreise lernen, muss einigen Eltern attraktiv erschienen sein: Etliche von ihnen beklagen, für ihre Sprößlinge seien:
die überschwenglichen Unkosten alle vergeblich allhie angewandt worden: und hätte in Warheit die Französische Sprache zu erlernen / in Teutschland nicht das zwantzigste Theil gekostet. (Schöndörffer 1673: 278, zit. nach Flechsig 1961: 14)
Einige der auf Auslandsreise geschickten Bürgerlichen und auch Adligen waren zudem noch zu jung, um das ihnen Dargebotene im Sinne der Eltern für sich zu nutzen. Andere passten sich offenbar ihrer neuen Umgebung zu sehr an und brachten z. B. nach Meinung des Bayrischen Kurfürsten Maximilian, der dieses - zitiert nach Flechsig (1961: 14) - in einer Anweisung aus dem Jahre 1650 äußerte, „alls allerlai frembde schödliche sitten und gewonheiten“ mit. So hielt letzterer es für nützlicher, einen jungen Fürsten durch Unterricht im Heimatland in den „wolanstehenten Tugenden und exercitien“ zu „perfectionirn“. Häufig waren auch die Universitäten Ziel der adeligen und bereits im Mittelalter üblichen „großen Tour“, die die Welterfahrenheit der Scholaren fördern sollte.
Waren dieselben (d.i. die jungen Adligen) alsdann zum Jünglingsalter herange­wachsen, so schickte man sie, falls man es bekräftigen konnte, unter Leitung eines Hofmeisters auf Reisen, damit sie auf Universitäten und an fremden fürstlichen Höfen, nicht zum wenigsten auch auf den Akademien des französischen Adels für ihre Bildung, wenn auch keine gründliche Erweiterung, so doch einen gefälligen Firnis und feineren Schliff gewönnen. Aber ein solcher Bildungsgang war sehr kostspielig, für die meisten Adelsfamilien geradezu unerschwinglich, und was das Schlimmste war, nur zu oft führte er gar nicht zu einem erfreulichen Ziele. Die jungen Herren kehrten von ihren Reisen mit leerem Kopf, liederlichen Sitten nach Hause, weswegen Kritik an ihnen durchaus nicht selten ist. (Koldewey 1888: 68, zit. nach Flechsig 1961: 16)
In Köln gab es etliche private Schulen wie die Du Viviers oder auch solche, die z. B. in vornehmen Kölner Häusern in der Mitte des 16. Jahrhunderts eingerichtet wurden, da Unzufriedenheit über die öffentlichen Lehranstalten herrschte. In den bestehenden Humanistenschulen war es nicht leicht, „ein angemessenenes Unterkommen für die Knaben zu finden“ (Kuckhoff 1929: 15).
Hier kam es in dieser Zeit verstärkt zu privaten Elterninitiativen in Bezug auf Schulneugründungen. Bei den Eltern handelte es sich insbesondere um protestantische Flüchtlinge, die ihren Kindern die Möglichkeit geben wollten, in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden (Zwilling 1888: 258ff.). Aufgrund der Religionswirren in den Niederlanden flohen etliche Flüchtlinge nach Köln. Dazu gehörten auch viele Niederländer - und darunter Sprachmeister sämtlicher Kon­fessionen. So waren Letztere zunächst für „die muttersprachliche «Grundversor­gung» für den Nachwuchs der französischsprachigen Exulanten“ (Zwierlein 2010: 104) im Einsatz. Doch auch die Kölner Kaufleute, die ihre Kinder für den Handel mit französischen Kunden vorbereiten lassen wollten, waren an in diesem Kontext entstandenen neuen Schulen interessiert.
Im 17. Jahrhundert nahm die Anzahl privater Schulen weiter zu. Zu der Situation in Augsburg beispielsweise erfahren wir von einem dortigen Sprachmeister, dass die Patrizier und reichen Bürger ihre Kinder oft aus den Pfarrschulen abzogen und sie in den sogenannten „Winkelschulen“ unterbrachten:
Nach der Aussage des Schulmeisters J o h a n n G a r t n e r lag der Grund dieser so auffallenden Abnahme nicht nur in der Nachlässigkeit der Eltern, sondern be­sonders in ihrer Eitelkeit : sie wähnten, die «Teutsche schul sey viel zu gering» und zogen es vor, ihre Kinder zur Information in eine der Winkelschulen zu schicken, deren so viele in der Stadt vorhanden waren, und einige sogar von calvinischen Weibern gehalten wurden. In der St. Niklausschule stossen wir auf ähnliche Klagen. Die bei dieser Kirche verpfarrten Eltern, heisst es in der Relation der Visitatoren, «schicken entweder frühzeitlich ihre Söhne in Frankreich, die zu ihrem Gewerb und Handthierung nötige frantzösische Sprach zu erlernen; oder halten ihren semptlichen lieben Kindern Praeceptores domesticos und Sprachmeister» (Zwilling 1888: 280).
Wir erfahren bei Niessen (1917: 39) zudem, dass es in Köln nicht nur Schulen für die französische, sondern auch für die italienische Sprache gab2.

2 Die Flüchtlings- und Kaufmannsstadt Köln

Die Stadt Köln erfreute sich großer Beliebtheit als Zielort für religiöse Flüchtlinge - sowohl für solche protestantischer als auch solche katholischer Provenienz. Beide Parteien durften unter der Auflage, sich in Fragen der Religion und der Politik zurückzuhalten, dort ansässig werden (Zwierlein 2010: 102)3.
In Köln ließen sich viele Buchdrucker nieder. Im Jahre 1540 fanden sich dort zehn Druckereien - mehr als in jeder anderen Stadt (Deeters 1981: 107). Zwischen 1560 und 1599 waren dort tatsächlich weiterhin die meisten Drucker im deutschsprachigen Raum verzeichnet. Erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrhun­derts wurde es von dem dann boomenden Frankfurt übertroffen.
Im 17. Jahrhundert führte die Aufhebung des Edikts von Nantes - und somit Aufhebung der freien Religionsausübung der Hugenotten in Frankreich - sogar dazu, dass die Zahl der nach Frankfurt strömenden Flüchtlinge die Frankfurter Bevölkerung quantitativ übertraf. Die ankommenden Flüchtlinge erhielten von ihren bereits anwesenden Glaubensgenossen zwar tatkräftige Unterstützung, ließen sich jedoch durchaus auch für die Ansiedelung in anderen deutschen Regionen abwerben (Bierbach 2000: 159).
Der in Köln ansässig gewordene Gérard Du Vivier wurde auf die Ausübung religiöser Aktivitäten hin überprüft und des Protestantismus verdächtigt. Doch geht aus den Verhörprotokollen nicht hervor, ob dies tatsächlich bestätigt wur­de. Zwierlein (2010: 110) sucht Indizien für eine mögliche Klärung der Du Vivierschen Religionszugehörigkeit und verweist darauf, dass auch das religiöse Theaterstück Abraham et Hagar keinen genauen Aufschluss darüber gibt. Mög­licherweise könne hierin eine Identifizierung des Autors von belgischen Exulanten - wie z. B. Du Viviers Freund Peter Heyns - mit dem Exil der Charaktere Hagar und Ismael gesehen werden, in das Letztere auf Anordnung Gottes ziehen sollen. Doch sei aufgrund der Tatsache, dass Flüchtlinge beider Konfessionen nach Köln emigrierten, keine eindeutige religiöse Einordnung Du Viviers vorzu­nehmen.
Zur Kaufmannsstadt Köln ist zu sagen, dass sie auch der Hanse angehörte und aufgrund ihrer Nähe zur französischen Grenze bereits seit dem Ende des 13. Jahrhunderts Handel mit Frankreich trieb. Dieses stärkte das Interesse der Kölner Kaufmannschaft an den hierfür notwendigen französischen Sprachkennt­nissen. Dabei waren die Kölner z.B. auf den Champagner Messen vertreten (Kelz 1994, Dollinger 1998: 64, Kellenbenz 1962: 8) oder in der Normandie:
Im 15. Jahrhundert waren sie [= die Hansen, A.W.] aber zuweilen an der Seine-Mündung anzutreffen, in Honfleur und Harfleur, die in deutschen Quellen zu Honychflor und Heringsfleete wurden! Eine ganze Hanseflotte mit Getreide und Hering als Ladung wird 1450 in Rouen erwähnt; als Einkaufsobjekt ist nur vom französischen Wein die Rede. Die Kölner Kaufleute scheinen in diesem Gebiet am aktivsten gewesen zu sein; zu wiederholten Malen bat Köln Rouen, sie zu schützen und die Opfer der normannischen Seeräuber zu entschädigen. Aber diese Verbindungen blieben wenig bedeutend (Dollinger 1998: 335).

3 Das religiöse Schultheater

In der Mitte des 16. Jahrhunderts - im Jahre 1554, also etwa zehn Jahre, bevor Du Vivier seinen Unterricht in dieser Stadt aufnahm, wurde in Köln eine neue Schule eröffnet (Baddeley 2013: 4). Eines ihrer Erziehungsziele war die gute und christliche Erziehung der Jugend. Diese humanistische Schule von Professor Leichius, das sogenannte Tricoronatum, wurde zur „e r s t e n vollständigen Jesuitenschule Deutschlands“ (Kuckhoff 1929: 37; Hervorhebung im Original), deren Leitung Johannes Rethius übernahm. Damit war Köln die erste Schulgrün­dung des entstandenen Jesuitenordens.
Johannes Rethius war im Jahre 1550 zum Magister promoviert worden. Er hatte wohl zwischen der geistlichen Berufung - später wurde er Jesuit - und einem weltlichen Beruf geschwankt. Von daher war er zunächst - damals war der Jesui­tenorden in Köln noch nicht zugelassen worden - zum Studium an die Universität Paris gegangen und hatte dort eine entsprechende Ausbildung erhalten (Kuckhoff 1929: 24). Dieser Lebensweg entsprach demjenigen etlicher Kölner Patriziersöhne, die einen erweiterten geistigen Horizont erwerben wollten und an französischen oder italienischen Universitäten studierten. Rethius wurde im Jahre 1557 - ein Jahr nach dem Tod des Begründers des Jesuitenordens Ignatius von Loyola - erster Rektor des Kölner Tricoronatums (Nebgen 2010 und Kap. 5 hier).4
Moderne Fremdsprachen standen keineswegs auf dem Lehrplan dieser Kölner Schule:
1561 finden wir dann die Einteilung, die fortan dauernd blieb: Metaphysik (Vorbe­reitungskursus für die werdenden Magister), Physik, Logik, Rhetorik, Poetik (Huma­nitas), Syntax (Prima), Inferior Grammatica. (Kuckhoff 1929: 61)
Zu den Inhalten des am Tricoronatum erteilten Grammatik-Unterrichts erfahren wir:
Die Methode war diejenige der Humanisten: Interlinearinterpretation, engste Verbindung von Lektüre und Grammatik, Schulung im Briefschreiben und im Reden auf Grund zahlreicher schriftlicher Übungen, weitgehendes gedächtnismäßiges Einprägen des Lernstoffes. Mit allem Nachdruck wurde Liebe und Verständnis im Umgang mit der Jugend von den Lehrern gefordert. (Kuckhoff 1929: 37)
Dabei spielte der sogenannte modus parisiensis eine große Rolle im Unterricht von Johannes Rethius bzw. im jesuitischen Unterricht. Dabei ist folgendes Pro­gramm zu berücksichtigen:
Eine verbindliche Übersicht über Art und Umfang der Übungen, die den einzelnen Klassenstufen zugeordnet werden, gibt die Ratio studiorum der Jesuiten von 1599. Die Jesuiten stellen ideologisch ihr Schulwesen zwar gänzlich in den Dienst der Gegenreformation, dennoch entlehnen sie die Lehrmethoden ganz selbstverständ­lich dem Humanismus. Die Grundausbildung der ersten Jahre in ihren Kollegs, die allen offensteht, entspricht in ihren Praktiken ganz dem modus parisiensis; dieser bezeichnet die übungsorientierte Methodik, wie sie in Weiterführung der Ansätze in den Schulen der Brüder vom gemeinsamen Leben [die im übrigen auch in Köln ansässig waren (Walter 1996: 1; A.W.) und in Übernahme der Anregungen aus Ita­lien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Pariser collèges entwickelt wurde“ (Bierbach 1997a: 260).
Im 16. Jahrhundert hat die Einübung des mündlichen Ausdrucks eine besondere Bedeutung. So übernimmt der Grammatiklehrer auch die Aufgabe der Rhetorik­vermittlung. Der modus parisiensis wiederum stand in der Tradition des italienischen Humanismus, dessen Auswirkungen im Bildungssystem Deutsch­lands - in diesem Falle Kölns - selbstverständlich deutlich spürbar waren und auch Du Vivier beeinflussten: Der Sprachunterricht orientierte sich an einem rhetorisch-literarischen Ideal, wobei insbesondere für das Lateinische - aber auch für das Griechische - eine aktive Beherrschung der ciceronianisch-quintilia­nischen Regeln von großer Wichtigkeit war. Entsprechend wurden Reden, Ge­dichte und Briefe verfasst, um diese Fähigkeit zu dokumentieren. Dazu gehörten in Anlehnung an die Vorbildautoren und die mittelalterliche Lernpraxis große Gedächtnisleistungen (Bierbach 1994: 76). So war z.B. der Autor Terenz sehr beliebt bei den Humanisten. Schon Franke erwähnt ihn u. a. als moralisches Vor­bild:
Einmal nämlich waren es die sprachlichen oder die formalen schönheiten, welche die humanisten beim Terenz zu entdecken glaubten, und zweitens schien ihnen der inhalt der comoedien mit ihren typischen charakteren das sicherste mittel, auf die moral und die entwickelung des jugendlichen gemütes günstig einzuwirken. (Franke 1877: 8)
Die Unterrichtssprache im Tricoronatum war dominant das Lateinische. In zwei Ausnahmefällen durften die Jungen auch die deutsche Sprache verwenden: Zum einen in den Anfangsklassen, zum anderen im Gespräch mit französischen Mitschülern, denn es nahmen auch Franzosen am Unterricht des Tricoronatums teil, die von ihren Eltern nach Köln geschickt wurden, um die deutsche Sprache zu erlernen:
Selbstverständlich war am Tricoronatum wie an allen anderen Gelehrtenschulen dieser Zeit der Gebrauch der lateinischen Sprache unter einander. Nur im Anfangsunterricht hatte das Deutsche in den Unterklassen eine bescheidene Stel­lung. Daß die Jungen sich unter einander in ihrer Muttersprache unterhielten, war natürlich; doch sollten sie allmählich dazu kommen, daß sie nicht ohne weiteres und ständig (libere et assidue) das Lateinische in der Unterhaltung vernachlässig­ten; auch lag ja die Möglichkeit der Überwachung nur bei den internen Schülern vor. Wenn Franzosen ihre Söhne nach Köln schickten, damit sie die deutsche Sprache lernten, so mußte diese auch vorschriftsmäßig in der Unterhaltung mit ihnen gepflegt werden. Die deutsche Sprache, auch das Hochdeutsche, mußte unter den werdenden Klerikern schon deshalb gepflegt werden, weil zahlreiche Schüler als Prediger, auch für Oberdeutschland ausgebildet wurden. (Kuckhoff 1929: 47)
Es war Rethius, der das humanistische Schulschauspiel entwickelte. So sollte den bei den Eröffnungsfeiern anwesenden fremden Gästen neben den erbrachten Reden und Gedichten noch darüber Hinausgehendes vorgetragen werden. Und zudem sollten Gönner für die Schule gewonnen werden: Schule und Schüler sollten ihre Effektivität unter Beweis stellen und in das Kölner Bildungsambiente integriert werden (Kuckhoff 1929: 135).
Auch für die Aufführungen der Schauspiele wurde die lateinische Sprache gewählt. Um ein breites Publikum zu interessieren, enthielten die Stücke jedoch neben einem optisch auffallenden Bühnenbild volkssprachliche Prologe (Nebgen 2010). Ein Programmheft, in dem der Inhalt des jeweiligen Stückes zusammen­gefasst wurde, war ebenfalls in der Volkssprache verschriftlicht.
Kuckhoff schreibt zum Tricoronatum:
Außerordentlich weit waren die Grenzen der Wirksamkeit, die dem Tricoronatum von Anfang an gesetzt waren. Die Schüler kamen aus allen Gegenden am Mittel- und Niederrhein, aus den französischen Niederlanden, von der Mosel und aus Luxemburg, so wie aus Franken, Westfalen und Friesland. Es waren das nicht nur Schüler der Oberklassen, Studenten, die zur Universität kamen, sondern auch jüngere, besonders aus adeligen Familien. Es war ein buntes Gemisch der verschie­densten Sprachen und Dialekte, das sich an der Schule und auch im Konvikt zusammenfand, was ganz sicher dazu beigetragen hat, den Blick der Knaben früh­zeitig zu weiten. (Kuckhoff 1929: 136)
Dabei gehörten die Schüler vielen Volksschichten an: Neben Adligen, auf die Rethius aufgrund beruflicher Einflussmöglichkeiten großen Wert legte, kamen auch Schüler einfacherer Herkunft. Doch waren ihm die vornehmen Kölner Familien - einige davon waren ihm verwandtschaftlich verbunden - besonders wichtig:
Ging ein Schüler als Kaufmann in die Fremde, so gab ihm Rethius Empfehlungs­briefe an die Niederlassungen der Jesuiten in Frankreich oder mit [...]. (Kuckhoff 1929: 139; Hervorhebung im Original)
Für die Jesuiten bedeutete es offenbar kein Problem, auch protestantische Schüler in ihre Schulen aufzunehmen.

4 Katholische und protestantische Komödien
Im jesuitischen Schultheater waren klassische Komödienschreiber wie Terenz beliebt. Besonders lag den humanistischen Pädagogen an der moralischen Wir­kung der Stücke:
Vor diesem Hintergrund wurde auch von der jungen Gesellschaft Jesu das Theater­spiel als ethisch-didaktisches Medium in der Schule und im Kontext der konfessio­nellen Auseinandersetzungen als Mittel der Repräsentation, Erbauung und Kate­chese aufgenommen. (Nebgen 2010)
Dabei wurden gern biblische Stoffe verarbeitet. Solche Stücke waren zunächst auf Latein verfasst und wurden über die Landesgrenzen hinweg ausgetauscht (Nebgen 2010: Abschnitt 3):
C’est dans nos collèges que la comédie, comme la tragédie, est née et qu’elle a peu à peu évincé les genres traditionnels. Elle est née dans les collèges, parce que maîtres et élèves lisaient Plaute et surtout Térence, et s’efforçaient de rivalisier avec eux (...). Térence jouissait d’une vogue que nous avons peine à imaginer. Avec Virgile et Cicéron, il était un des principaux auteurs commentés en classe ; seuls, les collèges où dominait l’esprit de Calvin, l’excluaient de leurs programmes. (Lebègue 1946: 338f.)
Auch Du Vivier brachte die in seiner Schule untergekommenen Handwerker- und Kaufmannssöhne zum Schauspiel.
Was den Terminus Komödie angeht, den auch Du Vivier aus heutiger Sicht unverständlicherweise für sein religiöses Drama einsetzt, so erfahren wir bei Lebègue zur Bedeutung dieses Terminus bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts hinein:
[...] le mot comédie, introduit dans notre langue dès la fin du XIVe siècle, est de plus en plus employé; mais, au théâtre, il désigne des pièces à dénouement heureux qui continuent la tradition médiévale. (Lebègue 1972: 57)
Auch Franke gibt bereits Informationen über dessen inexakte Verwendung:
Dass tragoedie und comoedie auseinander zu halten sind, darüber grübelten sie nicht im geringsten nach. Eine solche unbeholfenheit zeigt sich meist schon in der namengebung ihrer stücke. Es ist spashaft zu sehen, wie sie sich drehen und wenden, um nur den altehrwürdigen begriff ‘comoedia’ nicht aufgeben zu müssen: so nannten sie ihre dramen bald: ‘ c o m e d i a s a c r a ’ (frischlin’s Rebecca u. a.) (…) (Hervorhebung im Original; A. W.). (Franke 1877: 97)
Erst im 17. Jahrhundert kommt es zu einer klareren Trennung von Komödie und Tragödie (hierzu auch Jaroszweska 2000 und Weißhaar 2001: 259, Anm. 45).
Franke (1877: 62) kontrastiert die katholische, biblisch-historische Dramen bevorzugende, und die bald darauf entstandene protestantische Schulkomödie dergestalt miteinander, dass er allein der protestantischen Schulkomödie reli­giös-politische - insbesondere auch gegen den Papismus gerichtete - Motive und eine eher satirische Form zuordnet:
Nous constatons aussi la vogue de ces COMÉDIES SACRÉES, bibliques ou non, dont le succès s’est prolongé dans les Pays-Bas et dans les provinces rhénanes jusqu’à la fin de la Renaissance. Les uns sont dépourvues de tout élément comique, dans les autres l’auteur a cousu à l’action des imitations de Térence ou de Plaute, des épisodes comiques traditionnels. (Lebègue 1946: 336).
Doch bei etlichen Theologen war das Theater selbst zunächst nicht sehr gern gesehen:
Chez les Protestants français, Calvin s’efforce de supprimer tout théâtre, tandis que d’autres, tels que Jacques Grévin, se contentent de critiquer le mélange de théâtre et de religion. (Lebègue 1977a: 16)
Die katholische Kirche untersagte ihren Priestern sogar, in Theaterstücken mitzu­spielen, später sogar, dabei zu sein bzw. sie anzusehen. Und sie verbot ihre Auf­führung an 'heiligen' Orten, z. B. in der Kirche.
Zur Zeit Du Viviers gab es eine Welle religiöser 'Komödien', die beim Publikum großen Erfolg hatten:
Da aber die jesuiten in der aufführung lateinischer dramen doch ein vorzügliches bildungsmittel der jugend erkannten und andrerseits die protestanten diese an­sicht teilten, so entstand in kurzer zeit eine kaum übersehbare masse religiöser dramen. Es brauchte auf protestantischer seite schliesslich nur noch einer auffor­derung Luther’s, um die begeisterung allgemein zu machen”. (Franke 1877: 131)
Biblische Themen waren auch insofern willkommen, als man davon ausgehen konnte, dass die Zuschauer die Inhalte aufgrund ihrer religiösen Erziehung kann­ten (Jeffery 1969: 185).
Auch Du Viviers Antwerpener Freund Peeter Heyns - seinerseits ein Kalvinist, den er wohl in Köln kennen gelernt hatte und dem er seine Komödie Des amours pudiques & loyales de Theuseus & Dianira gewidmet hatte und mit dessen Schulbüchern wiederum Du Vivier arbeitete (Zwierlein 2010: 107) - verwendete biblische Themen, um seine Klientel, die Töchter Antwerpener Kaufleute, nicht nur im Französischen, sondern zugleich pädagogisch und mora­lisch zu unterrichten. Heyns selbst unterrichtete nacheinander in Antwerpen, Köln, danach wieder in Antwerpen, von wo er dann wieder floh, um - nach dem Aufenthalt in Frankfurt am Main und Stade - seine letzte Station Harlem aufzusuchen:
Ces déplacements successifs s’expliquent par les évènements politico-militaires de son temps et par la position précaire des réformes dans le cadre de la Contre-Réforme (Swiggers 2001: 509)
Die Jesuitenschulen arbeiteten mit vielen (oft religiösen) Theaterstücken, um Fremdsprachen zu unterrichten:
(...) et on pourrait peut-être voir dans l’initiative de De Vivre une volonté de reproduire dans sa propre école le modèle de ce type d’enseignement, dont l’efficacité avait été prouvée. (Baddeley 2013: 4)
Was die Autorenschaft dieser Schultheaterstücke angeht, so findet sich nicht immer nur ein einziger als deren Verfasser. Vielmehr mussten die Universitäts­autoritäten dem Text zustimmen, ebenso wie die jeweiligen Kollegen und die Studenten. Ein Autor schrieb zunächst eine Art Projekt, das eine Beschreibung der Hauptszenen enthielt. Diesen Entwurf reichte er beim Scholarchen - dem Schuloberhaupt - ein. Dieser fungierte als Verbindung zwischen der Stadtverwal­tung und der Unterrichtseinrichtung und überwachte besonders, dass nichts in den neuen Theaterstücken die Moral oder die öffentliche Ordnung verletze. Diese Maßnahme betraf natürlich in besonderer Weise Theaterstücke mit bibli­schem Inhalt:
Au stade de la création, l’auteur se trouvait donc déjà orienté tant pour le choix de son thème que pour la manière de le traiter. (Jeffery 1969: 182).
Bisweilen arbeiteten auch einige Professoren zusammen an der Erstellung eines Stückes.
Lebègue erklärt die Autorenschaft der Professoren folgendermaßen:
Les Jésuites ne permettaient pas à leurs élèves de composer le texte des pieces. La precaution était bonne ; car, au XVIe siècle, les drames écrits par les collégiens furent souvent fort satiriques et très peu moraux. (Lebègue 1977b: 172)

5 Die Vermittlung der “guten Sitten”
Nicht nur heutzutage ist es vielen Pädagogen ein besonderes Anliegen, Schülern über das notwendige Wissen ihres Faches hinaus auch Wissen über Umgangs­weisen weiterzugeben. Einige Pädagogen sahen für Letzteres einen geradezu dringenden Bedarf.
Kuckhoff nennt den Emmericher Schuldirektor Mathias Bredenbach:
Der klagte darüber, daß die Jugend nicht nur religiös, sondern auch sittllich (sic!) verwahrlost zur Schule komme. Die Schüler trügen Türkenhüte und Soldatenmän­tel; sie liefen umher wie die wilden Tiere. In Köln war es gerade so; sonst hätte der Rat sich nicht so oft mit den Studentenunruhen befaßt und nicht verbieten müssen, daß Studenten sich weder bei Tag noch auch bei Nacht mit Waffen auf der Straße zeigen dürften. (Kuckhoff 1929: 126)
Ellwein (1985: 53) beschreibt die Schüler jener Zeit folgendermaßen:
Viele von ihnen (= den Schülern, A.W.) verfügten über reichliche Einnahmen, auch wenn ihre Eltern oder Verwandten großte Mühe gehabt haben mögen, das aufzubringen (...). Sie nahmen oft an Modetorheiten teil, übten sich im Duell, tranken unmäßig und schockierten ihre nähere Umwelt. Dabei bestanden offen­kundig Unterschiede zwischen den Universitäten, gab es billigere und teurere Universitätsstädte und stellten wohl manche der kleinen Universitäten eine Ausweichmöglichkeit für ärmere Studenten dar. (Ellwein 1985: 53)
Auch die Studentenhäuser des 18. Jahrhunderts waren nach Ellwein (1985: 98f.) weiterhin Orte, in denen sich ungehöriges Verhalten schnell verbreitete.
Auf diesem Hintergrund fiel es um so mehr auf, dass die Schüler an Rethius' Schule sich in der Öffentlichkeit merklich besser benahmen. Von daher schickten die Kölner hohen Kreise, die sich eine gute Erziehung ihrer Kinder erhofften, Letztere nun vermehrt dorthin. In der Stadt gab es auch etliche arme Schüler und Studenten, die bettelten oder herumlungerten. Rethius unterstützte sie mit Kost, Logis oder der Vermittlung an reichere Herren, bei denen sie arbeiten konnten. Diese Thematik wurde zum Teil auch in die Schulkomödien mit aufgenommen, um zu zeigen, wie die Kirche zur Besserung solcher verwahr­loster Studenten beitrug (Kuckhoff 1929: 127f.)
Wenn auch Du Vivier die Vermittlung der guten Sitten - sowohl in seinen Komödien als auch schon in seiner Grammatik von 1568 - betont, dann zusätzlich noch im Hinblick auf seine vornehmlich dem Kaufmannsstand entstammende Kundschaft: Des Autors Angebot enthielt nicht nur den Sprach­unterricht, sondern auch die Vermittlung der guten Sitten und der Arithmetik. Diese Kombination dürfte besonders für eine potentielle bürgerliche Schüler­schaft des Kaufmannsstandes attraktiv gewesen sein. Und wie wichtig auch die Einhaltung eines kaufmännischen Sittenkodex war, wird beispielsweise aus den Statuten der Hanse-Niederlassung in Danzig ersichtlich:
Die Statuten des Artushofs von Danzig, die ausführlicher als die der anderen Kaufmannsgesellschaften sind, zeigen die Sorge um den guten Ruf der Vereinigung, die Aufrechterhaltung eines schicklichen Benehmens und die Vermeidung von Verschwendung. Es war bei Geldstrafe und sogar Ausschluß untersagt, sich gegen­seitig das Eßgeschirr an den Kopf zu werfen, das Messer zu ziehen, um Geld zu würfeln, etwas in das Glas des Nachbarn zu schütten, um ihn betrunken zu ma­chen, schändliche Reden, besonders gegenüber den Frauen zu führen und Beleidi­gungen, vor allem gegenüber der Obrigkeit zu äußern. (Dollinger 1998: 238f.)
Doch obwohl Du Vivier sich rühmte, seinen Schülern auch die guten Sitten beizubringen, ist doch ein Gegensatz zu einigen der in seinen Grammatiken (und denen einiger seiner Kollegen) verwendeten Beispiele festzustellen, die deutlich zeigen, dass sowohl der Sprachmeister als auch seine Schüler gutem Essen und dem Alkohol nicht ablehnend gegenüberstanden. Dieser Widerspruch gibt je­doch einen lebensnahen Einblick in die kaufmännische Lebenskunst: Gern nahm man jede Gelegenheit zu feiern wahr. Dazu zählten kirchliche Festtage, Jahr­märkte oder Mai- und Schützenfeste5:
Zu einem jungen Mann gehörte, wie Franz Wessel - nach dem Tode seines Vater im Jahre 1509 in Stralsund selbständig geworden - als 22jähriger erklärte: (...) (... viel trinken, Gläser zerbrechen, maßlos essen, aus einer Tonne in eine andere springen usw. und sich bei Festessen und Gelagen sehen lassen). (Schildhauer 1984: 107)
Doch nicht nur die Kaufleute, auch Handwerker, Studenten und sogar einige Pro­fessoren neigten hier und da zu Maßlosigkeit. Zu ersteren erfahren wir:
Die Meister hatten über das sittliche Verhalten der Gesellen zu wachen und ungebührliches Betragen - Herumtreiben, Lärmen auf den Straßen, um Geld spie­len, Betrinken usw. - mit Geldstrafen zu ahnden. (Schildhauer 1984: 161)6

6 Der jesuitische Rhetorikunterricht
Rethius war am Kölner Tricoronatum Lehrer der Rhetorik und ließ die Schüler Disputationsübungen durchführen. Die rhetorischen Fertigkeiten der Schüler sollten unter anderem anlässlich von Schulfesten präsentiert werden, zu denen auch Komödien aufgeführt wurden:
Das rhetorisch-oratorische Bildungsideal zielt von seinem Wesen her auf Öffent­lichkeit; demzufolge geben die Schüler in der Antike ebenso wie im Humanismus des 15. und 16. Jh.s häufig öffentliche Proben ihres bereits erlangten Ausdrucks­könnens. (Bierbach 1997a: 265f.)
Bierbach spricht von einem „übungsorientierten Unterricht“, wobei die genannten Präsentationen der Schüler zugleich zu sehen seien als „der Maßstab, mit dessen Hilfe die Fähigkeiten der künftigen Führungselite überprüft werden“ (Bierbach 1997a: 266). Rethius teilte die Schüler in der Regel in zwei Gruppen ein, z.B. in Jüngere und Ältere oder Franzosen und Deutsche (Kuckhoff 1929: 74). Zu den Rezitierübungen der Schüler gehörte im übrigen, dass eine angemes­sene Haltung und Gestik eingeübt wurden, wie sie auch Du Vivier im Vorwort zu seinen drei Komödien als essentiell für die jugendliche Ausbildung ansah. Das Tricoronatum wollte sowohl auf den priesterlichen Beruf als auch auf höhere weltliche Berufe vorbereiten, was sich in den vorgetragenen Themen wieder­fand:
Die Gegenstände der Vorträge waren ganz allgemein. Es ist bezeichnend, daß in den drei Jahren, über die sich die Notizen erstrecken, viermal De lingua graeca, ebenso oft De eloquentia gesprochen wurde. Oder man redete über Tugenden und Laster, über Lebensregeln, wobei es auffällt, daß Reden gegen den Stolz und gegen die Trunksucht die beliebtesten waren. Diese moralisierenden Vorträge nahmen den größten Raum in Anspruch, es wurde aber auch oft über Heilige und kirchliche Feste gesprochen (Kuckhoff 1929: 71).
Der Rhetorik- und der Fremdsprachenunterricht hatten vieles gemeinsam. So betont z.B. Dorfeld (1892: 15) die wichtige Rolle von Aussprache und Repetition im Fremdsprachenunterricht des 17./18. Jahrhunderts:
Der Lehrer nahm mit dem Anfänger die Hauptregeln der Aussprache durch und machte sie ihm durch verschiedene Exempel deutlich und dadurch, dass er täglich ein paar Zeilen oder eine halbe Seite vorlas, diese wiederholen liess und bei Bege­hung eines Fehlers auf die Aussprachregeln zurückgriff. Am nächsten Tag sollte das Durchgearbeitete, ehe man weiterschritt, noch einmal durch Repetition, die über­haupt warm empfohlen wurde, befestigt werden. Die Ausnahmen liess man beisei­te und sie den Schüler nur ex usu einprägen. Manche trieben diese Leseübungen vierzehn Tage oder noch länger und gingen dann zur Grammatik über; (...). (Dorfeld 1892: 15)

7 Du Viviers Komödie Du Patriarche Abraham et sa servante Agar oder auch Abraham et Hagar

Du Viviers Komödie Du Patriarche Abraham et sa servante Agar oder auch Abraham et Hagar ist ab dem Jahre 1580 in mehreren Ausgaben in Antwerpen und Rotterdam erschienen (Baddeley 2013), wobei in unserem Kontext die im Jahre 1595 in Antwerpen bei Guislain Ianssens erschienene und in der Biblio­thèque Nationale in Paris zugängliche Fassung zugrunde liegt. Das Erscheinen eines Werkes an mehreren, geographisch weit voneinander entfernten Orten lässt sich damit erklären, dass es offenbar zur damaligen Zeit keine Seltenheit war, dass z.B. Kölner Verleger im 16. Jahrhundert auch Druckaufträge „an auswärtige Lohndrucker in Antwerpen, Basel, Mainz, Paris, Tübingen und in anderen Städten“ (Schmitz 1981: 33) vergaben. Es ist davon auszugehen, dass dies auch umgekehrt der Fall war:
Das ersparte bei in diesen Räumen benötigter Literatur die Transportwege, die oft schlecht und gefährlich waren. (Schmitz 1981: 33)
Im Folgenden ist es notwendig, kurz auf den Inhalt dieser Komödie einzugehen:
Du Vivier schickt dem Stück eine Art Zusammenfassung voraus, das sogenannte „Argument“. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine mehr oder weniger wört­liche Wiedergabe der Genesis (1. Kap. 21, Vers 1-21), deren Inhalt und Kontext zum besseren Verständnis an dieser Stelle noch einmal in gekürzter Form darge­stellt werden soll:
Abraham hat zwei Söhne: der ältere Ismael, dessen Mutter Abrahams Sklavin Hagar ist, und der jüngere Isaak, dessen Mutter seine Ehefrau Sara ist. Trotz ihres hohen Alters hatte Sara Isaak auf Gottes Verheißung hin doch noch einen Sohn geboren. Ismael war gezeugt worden, da Sara zunächst keine Kinder bekommen hatte.
Nun tritt die Situation ein, dass Ismael sich über seinen jüngeren Halbbruder Isaak lustig macht. Sara hört dies und ist empört. Sie spricht mit Abraham und fordert ihn auf, Ismael samt seiner Mutter fortzuschicken. Ismael solle nicht gemeinsam mit Isaak erben. Abraham ist darüber sehr betrübt. In seinem Kummer spricht Gott zu ihm und sagt ihm, er solle sich nicht um Ismael und Hagar sorgen und in allem auf Sara hören; denn nur nach Isaak solle sein Geschlecht benannt werden. Doch auch den Sohn seiner Magd wolle er zu einem Volk machen.
Ismael und Hagar ziehen fort, zunächst noch in Begleitung von zwei Dienern Abrahams. Dann, allein, geht ihnen in der Wüste das Wasser aus. Ismael ist dem Verdursten nah, als ein Engel Gottes zu Hagar spricht und sagt, sie möge Ismael, den er zu einem großen Volk machen will, aus einer plötzlich entstandenen Quelle zu trinken geben. Und Gott beschützt Ismael fortan, der in der Wüste aufwächst und für den seine Mutter später eine ägyptische Frau aussucht. (Zusammenfas­sung; A.W.)
Du Vivier baut diese Handlung zu einem Theaterstück in fünf Akten aus. Wie auch in seinen vorigen Stücken - bei den Letzteren handelt es sich um die jeweils zeitgleich in den Trois comédies entstandene Comédie des amours de Théseus et de Dianira (Weißhaar 2000a) und die Comédie de la fidélité nuptiale (Weiß­haar 2001) -, so finden wir hier in der Hauptsache Dialoge vor, und zwar zwischen Abraham und Sara, Abraham und Gott, Abraham und Hagar oder einem Diener sowie den Dienern unter sich. In einigen Szenen tauchen drei Personen auf. Es sind einige Abweichungen bzw. Akzentuierungen im Vergleich mit der Bibelversion zu nennen. Zunächst einmal fällt der sehr höfliche Umgang, besonders derjenige Abrahams mit Sara auf, der sich z. B. in etlichen Konjunk­tiven bzw. Höflichkeitsformen zeigt.
Zentrales Thema sind der Gehorsam und die Strafe für ein Vergehen. Das Auftreten Gottes - wenn auch nur als Stimme aus dem Hintergrund - unter­streicht dies. Auch wenn Hagar Abrahams Härte nicht verstehen kann, so meint Abraham, nicht anders handeln zu können, denn der Wille Gottes müsse gesche­hen, und es sei unmöglich, dessen Vorsehung zu entgehen. In einem Gespräch zweier Dienerinnen (III, 5) erfahren wir, dass eine der beiden die Bestrafung unerträglich findet, jedoch meint, sie sei von Gott angeordnet. Denn Hagar hatte schlecht von Sara geredet, als sie selbst schwanger war, Sara dagegen unfruchtbar. Auch Sara vertritt diese Position, wie sie in einem Monolog der 1. Szene des letzten Aktes mitteilt: Sie meint, das Übel räche sich immer selbst und das Gute werde belohnt.
Das dénouement des Stückes vollzieht sich mit Hilfe eines - im wahrsten Sinne des Wortes - deus-ex-machina. Denn Gott greift ein, indem er, wie versprochen, Ismael und Hagar helfend zur Seite steht. Im Grunde haben wir nicht nur einen deus-, sondern zugleich noch einen angelus-ex-machina, der als Gottes Vermittler die Rettungstat übernimmt.
In der Bibel selbst kommen keine Diener vor. Und auch die Themen Gehorsam, Strafe (Gottes) oder das Lästern über Sara tauchen nicht auf.
Die Komödie Abraham et Hagar (5 Akte auf 43 Seiten) ist gekennzeichnet durch den Umgang zwischen Herren und Dienern, d.h. in Bezug auf sprachliche Mittel durch die eine entsprechende Höflichkeit, eine Befehlsstruktur und den Gehorsam wiedergebenden Imperativ- Konjunktiv- oder Futurformen, so z. B. die Imperative Hagars (pardonnez, soyez) und Abrahams (va-t-en, allez, demandez, dites, escoutez), die Konjunktive Abrahams (nach il faut que: tu voises, soit fait; oder: eusse cuidé, deust faire) und Futurformen Abrahams (feray, verray) und der 1. Dienerin (2 x ferons (2x), sera) (S. 102/103 im Original):
Abb. 1: Gespräch zwischen der 1. Servante und Abraham

Die vornehmlich eingesetzte Form des Dialogs und die die Lese- und Aussprachetechnik lenkenden, in den Text eingearbeiteten, Zeichen für die Dik­tion unterstreichen das auf ein mittelalterliches Rhetorik-Ideal zurückgehende didaktische Interesse des Autors.
Die Eignung der Inszenierung dieser Bibelpassage für den Fremdsprachen­unterricht muss auf dem Hintergrund der folgenden Zusammenhänge gesehen werden:
  • Du Vivier konnte davon ausgehen, dass seinen Schülern dieser Ausschnitt aus dem Religionsunterricht bekannt war (vgl. 4). Zudem bieten sich die zahlreichen Dialoge auf dieser Basis eher zum Auswendiglernen an als solche Rollen, die unregelmäßig am dramatischen Geschehen beteiligt sind. Die Theaterstücke Du Viviers konzentrieren sich allesamt fast aus­ schließlich auf den Dialog, was sie seinen Dialogues et colloques aus dem Jahre 1574 annähert und zugleich den Ausbau größerer Verwicklungen der dramatischen Handlung ausschließt. In jedem Falle wird es für Schü­ler leichter gewesen sein, den Part eines Dialoges auswendig zu lernen als denjenigen innerhalb einer größeren Personengruppe. Zudem stammte die Methode des Auswendiglernens aus der humanistischen Tradition und war allgemein üblich. Dass das Auswendiglernen von Gelesenem für Du Vivier sehr wichtig war, erwähnt er besonders auch in seiner Gramma­tik von 1568 (hier besonders S. 1r). Neben der Bearbeitung der Werke einiger hervorragender Autoren - Du Vivier spricht von „expliquer quelque bon Autheur“ (ibid.) - hält er das Element des Sammelns des den Schülern unbekannten Vokabulars in Form eines kleinen dictionnaire (S. 13r) für angebracht. Die Tendenz, zur Lektüre guter Texte überzugehen, nachdem eine Mindestbasis an Regeln und / oder Paradigmen geschaffen worden ist, ist ebenfalls typisch für die Pädagogik der Humanisten im Latein-Unterricht. Wenn Du Vivier dafür plädiert, dass neben der Erler­nung der Grammatik und dem Auswendiglernen von Dialogen die bons auteurs gelesen werden sollen, setzt er implizit auch seine eigenen Ko­mödienproduktionen auf solch eine Autorenliste.
  • Nach Erasmus von Rotterdam, dem wohl berühmtesten Pädagogen des Humanismus, lernt man eine Sprache durch das Sprechen und durch das Lesen der besten Autoren. Diese Auffassung war auch für die Zeit Du Viviers gängig (vgl. 3). Du Vivier lehnt sich weiter an Erasmus von Rotterdam an: Dieser äußert sich zu den Übungen sehr genau in seiner im Jahre 1511 verfassten „Ratio studii“:
Als Übungen zur Steigerung der Fähigkeit der variatio empfiehlt er, in ausdrücklicher Anlehnung an Quintilian, sentenias vertere, am besten im Wettbewerb mehrerer Schüler untereinander; dann die Paraphrase als for­male Umwandlung eines gleichbleibenden Stoffes in verschiedene rheto­rische Prosaformen; weiterhin die Übersetzung aus dem Griechischen; die Umsetzung eines Inhalts vom Vers in Prosa und umgekehrt, die Umarbei­tung einer Versdichtung in verschiedene Versformen“ (Bierbach 1997a: 256f.).
Zwierlein (2010: 114) spricht hier von einer “Sprechpädagogik im modernsten Sinne”, die Du Vivier vertrete. Nicht nur die Lektüre sei hier wichtig. Ganz beson­ders gut erkennbar sei dies an den Regieanweisungen, die Du Vivier seinen Komödien voranstellte.
Du Viviers Theaterstücke enthalten ebenfalls viele Spielanweisungen, wie sie seinerzeit nicht unbedingt üblich waren:
In addition to the table of signs, de Vivre’s plays also contain stage directions given in full (...). Occasional stage directions are found in the other plays, but they are rare and isolated (…). (Jeffery 1969: 93)
Er führt in seinen drei Schulkomödien ein System von sieben Zeichen ein, die den Schülern Hinweise bezüglich der einzuhaltenden Pausen, der Lautstärke und des Sprechtempos geben (Baddeley 2013):
Abb. 2: Du Viviers Sprechanweisungen
Die Zeichen der Sprechanweisungen - genauer die Pausenzeichen - sind in der hier verwendeten Rothschild-Ausgabe jedoch nur mit Hilfe von Asterisken darge­stellt, die in jeweils unterschiedlicher Anzahl und Anordnung (einfach, doppelt oder auch dreifach) die Länge der Pausen eines Atemzuges repräsentieren (Aus­schnitt S. 102/103).
Im Hinblick auf die Rezeption der vorliegenden biblischen Komödie Du Viviers bezeichnet Lebègue (1946: 330) sie als „encore plus médiocre“ als die beiden ersten Komödien Du Viviers. Abraham et Hagar enthalte nach Lebègue auch nicht den geringsten komischen Zug, ihr dénoument sei jedoch ein glückliches:
Les spectateurs purent y voir un ange, entendre Dieu qui, caché derrière la courtine, donnatis des ordres à Abraham” (Lebègue 1946: 330).
Lebègue (1946: 343) geht sogar so weit, Du Vivier – neben seinem Freund Peeter Heyns - als Autor von Tragödien zu nennen, obwohl Du Vivier neben seinen drei Theaterstücken kein weiteres verfasst hat.
Auf der Suche nach möglichen Quellen Du Viviers für „Abraham et Agar” nennt Baddeley als einen möglichen Bezug zu bis dato existierenden Theaterstücken die Tragödie Abraham sacrifiant des protestantischen Reformators Théodore de Bèzes aus dem Jahre 1550. In Anlehnung an die Komödie des Terenz gab es zudem Charakterlisten, die für die Komödie als üblich galten. Dies zeigt, dass die Charaktere nicht als Individuen angesehen wurden, sondern - wie beispielsweise in der Commedia dell’arte - allgemein definierte menschliche Typen repräsen­tieren sollten. Für die Charaktere gab es einen entsprechenden Verhaltenskodex: Jeffery (1969: 139) nennt die Komödie Andria von Willichius, in der ein Sklave sich über einen Herrn lustig macht. Dieses wurde als ungehörig angesehen. In Abraham et Hagar greift Du Vivier dasselbe Thema auf und bereitet es morali­sierend auf. Jeffery verweist darauf, dass die Charaktere oft allerdings nicht die erwünschte charakterliche Einheitlichkeit zeigen:
And in fact, we find that a stock character pure and simple is a rarity in these plays. (Jeffery 1969: 144)
Mazour (1991: 275) hält die Komödie La fidélité nuptiale für die beste Du Viviers. Zu dem Stück Le Patriarche Abraham et sa servante Agar schreibt er in Bezug auf Du Viviers Orientierung am biblischen Original:
Le texte biblique est suivi avec la plus grande fidélité. De Vivre, partant d’une trame sommaire, s’efforce de la nourrir, de l’agrémenter, en donnant à ses per­sonnages plus d’épaisseur humaine, plus de vie et de vraisemblance. Cet effort vers un certain réalisme théâtral rappelle ceux des fatistes médiévaux, mais aussi ceux des auteurs contemporains de pièces édifiantes à sujet religieux, qui les uns et les autres dramatisent des épisodes tirés des livres sacrés ou des légendes hagiographiques. (Mazour 1991: 279)
So sei der Ton des Werkes 'familier', doch finde man 'rien de plaisant' (Mazour 1991: 279), was den Terminus Komödie rechtfertigen könnte.
Der Dramenaufbau des Stückes ist nach Mazour (1991: 280f) nicht optimal. So stelle er z.B. in Abraham et Hagar keinen ausreichenden Konflikt dar, auf dessen Lösung bis zum Ende hingearbeitet werde. Der Konflikt sei hier bereits im zweiten Akt gelöst (Mazour 1991: 282):
Le Patriarche Abraham et sa servante Agar insiste fortement, pour sa part, sur la soumission due à Dieu. Quelle que soit sa peine, Abraham obéit. [...] Agir selon la volonté de Dieu et s’en remettre à sa Providence, tel est le sens profond du théâtre de G. de Vivre. (Mazour 1991: 283f.).
So stellt Mazour am Ende seines Aufsatzes heraus, dass sich die Theaterstücke Du Viviers der Nachwelt weder durch ihre gedankliche Kraft, noch durch ihre Dramaturgie oder ihre Stilqualität empfehlen. Doch im Kontext der Fremdspra­chenvermittlung und der Pädagogik für Jugendliche finden sie ihren Platz (Mazour 1991: 284).

8 Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im 16. Jahrhundert in Köln offenbar ein umfassender Adressatenkreis für den Französischunterricht exis­tierte, der es Du Vivier ermöglichte, eine eigene Schule zu betreiben. Das für die meisten seiner Schüler entscheidende Motiv zum Erlernen der französischen Sprache war offenbar beruflich bedingt: Fernhandelsbeziehungen der Kölner Kaufleute oder Aufgaben in der Kölner Stadtverwaltung und Stadtpolitik. Um der jesuitischen Konkurrenz standzuhalten - und in Anlehnung an ein humanisti­sches Bildungsideal - verfasste Du Vivier ein erhebliches Repertoire an eigenen Unterrichtsmaterialien, wobei seinen Komödien sicherlich keine hohe litera­rische Bedeutung zuteil wird. Doch zeugen diese sowie seine übrigen Unter­richtswerke von großem Engagement eines Sprachlehrers, der seinen Schülern einen reichhaltigen Bildungshintergrund mit berufsorientierter Ausrichtung bie­ten wollte und der als einer der ersten in Deutschland angesehen werden kann, dem dies wohl auch gelungen ist.


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1  „Margarden“ könnte identisch sein mit der Mariengartenstraße, in der auch andere Drucker beheimatet waren. Auf dem Titelblatt der Grammatik von 1574 steht unten: „Gedruckt zu Cölln / bey Heinrich von Ach / vnd man findt sie zu kauff fur den Minre­brüdern / bey dem Author.“ 1566 heißt es auch auf dem Titelblatt: „ ... für dem Minre­brüder Clooster“, frz.: „ ... Deuant les Freres Mineurs“. Und 1568 steht zu lesen: „Gedruckt zu Cöllen fur Margarden. Bey Heinrich von Aich in kösten des Authors“. Möglicherweise existierte hier einmal ein Kloster, in dessen Nähe („devant“) der Autor wohnte - Hausnummern gab es wohl zur damaligen Zeit noch nicht. Benzing (1982: 256) nennt die Drucker Peter Steinbüchel (ca. 1665 - ca. 1677) und Johann Bernhard Pfeiffer (1687 - 1717) (Benzing 1982: 258), die ebenfalls „vor dem Minori­tenkloster“ bzw. „vor dem Mindernbrüdern“ ihre Geschäfte betrieben. Andreas Bingen (vor 1638 - 1668) war dagegen „Hinter den Minoriten“ zu finden (Benzing 1982: 254). Heinrich von Aichs Großvater Arnd von Aich druckte bereits „Des Evangelischen Bürgers Handbüchlein“ und nannte sich „evangelischer Bürger“: „Jetzt ist es auch gelungen, einige reformationsfreundliche Drucke aus seiner Presse festzustellen“ (Benzing 1982: 235). Er war der „Besitzer der Lupuspresse („vur sent Lupus“) in der Tranckgasse gegenüber der St.-Lupus-Kirche“ (Benzing 1982: 235). D.h. also, dass die Ortsangaben sich in der Tat oft auf die Nähe zu einer der Kirchen bezogen. Zudem führte dessen Schwiegersohn Laurenz von der Mülen „die Presse für die Witwe und den unmündigen Sohn Johann [= Vater Heinrichs] kurze Zeit fort“ (Benzing 1982: 235). Zu Laurenz von der Mülen findet sich interessanterweise, er habe „für S. Mariengarden“ gedruckt, wo er sich sicher eine eigene Presse zugelegt hatte. Und genau hier kam Du Viviers Grammatik im Jahre 1568 bei Heinrich von Aich heraus. Benzing (1982: 245) schreibt, er sei „wohl“ Johann von Aichs „Nachfolger in der Lupuspresse 'Vor Mariengarden'“ gewesen. So sind die unterschiedlichen Ortsan­gaben in den von Heinrich von Aich gedruckten Grammatiken Du Viviers offenbar kein Hinweis auf unterschiedliche Druckorte, sondern dienen - in damaliger Ermangelung von Straßenschildern - lediglich einer möglichst exakten geographischen Situierung. Benzing nennt weitere Drucker, die in derselben Straße ansässig waren: Heinrich Nettesheim (1585 - 1598) („in Mariengartengassen“), Wilhelm Lützenkirchen (1586 - 1634) oder Johann Christoffel (1598 - 1619), bei dem übrigens der Sprachmeister Jean Basforest seine Grammatik von 1624 drucken ließ. Die Drucker befanden sich also alle in unmittelbar geographischer Nähe zueinander. Somit muss Du Vivier, der - wie Bier­bach (1997b: 29) aus den Archivakten der Stadt Köln entnommen hat - in der Minori­tenstraße („bei den Minderbrudern“) wohnte, direkt im Druckerviertel (möglicherweise auch in der Nähe der Mariengartengasse) gelebt haben:
Wie die meisten mittelalterlichen Gewerbebetriebe hatten auch die Drucker kleine Läden oder Auslagen vor ihren Werkstätten, und der Absatz durch fliegende Händler dürfte ähn­lich den Vertriebsformen der Briefdruckererzeugnisse organisiert gewesen sein. (Rauten­berg 1996: 246)
So konnten offenbar Käufer der Grammatik bei einem Drucker oder sogar dem Autor selbst das gewünschte Buch erwerben. Bei diesen Käufern dürfte es sich in Anbetracht der damaligen Buchpreise um eine sehr finanzkräftige Schicht gehalten haben. Und wir können wohl davon ausgehen, dass auch aus diesem Grunde die Mündlichkeit und das Auswendiglernen von Texten noch beinahe genauso wichtig waren, wie Lusignan (1987 dies für die Erlernung der lateinischen Sprache im Mittelalter beschreibt:
Il est de toute façon loin d’être évident (et on serait même porté à supposer le contraire) que les enfants avaient tous des livres. La communication orale dans l’enseignement devait donc jouer beaucoup dans la transmission des explications, mais elle devait inter­venir aussi par les répétitions et les amorces de dialogues latins qu’elle devait provoquer entre le maître et l’élève. Lusignan (1987: 38)
Dass Du Vivier mitten unter den Druckern wohnte, ist nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass er selbst einer Drucker- und Verlegerfamilie entstammte und so wahrscheinlich die entsprechenden Kontakte hatte. Da er nicht als Drucker hervortrat, könnte er zum einen ein religiöser Flüchtling gewesen sein, der Zuflucht fand bei Angehörigen oder ihm durch berufliche Verbindungen solidarisch Gesinnten, oder er hatte durch die Kontakte seiner Familie eine Marktnische gefunden, so dass er aus kommerziellen Gründen von Gent nach Köln kam. Zudem waren intensive Kontakte zu Berufskollegen in ganz Europa nicht ungewöhnlich. Bei Oschilewski (1988 erfahren wir, dass z.B. der Nürnberger Drucker Koberger, der um 1470 bereits mehr als 100 Gesellen hatte,
Verkaufsfilialen in Frankfurt, Paris, Lyon [unterhielt] und [...] zudem mit vielen Buchhänd­lern in Italien, Holland, Polen, Österreich, Ungarn in regem Geschäftsverkehr [stand]. (Oschilewski 1988: 17)
Gleiches gilt für die seit dem frühen 16. Jahrhundert in Köln tätigen Buchhändler und -drucker Birckmann:
Die Birckmanns hatten Geschäftsbeziehungen mit den Froben in Basel, waren auf dem französischen Markt tätig und besonders im Englandgeschäft und besaßen Filialen in Antwerpen und London. (Schmitz 1991: 33)
Und auch ein flämischer Buchhändler namens Cornelius von Egmondt ließ sich zu Be­ginn des 17. Jahrhunderts in Köln nieder (Schmitz 1991: 39).
Du Vivier scheint seine Grammatik von 1568 selbst verlegt zu haben („in Kösten des Authors“). Im Jahre 1574 heißt es auf der Titelseite, diese Grammatik sei beim Autor selbst zu kaufen.
2   Nach van Selm (1977: 211) ist es möglich, daß auch Du Vivier neben dem Französischen andere Sprachen unterrichtete. Er schließt dies aus der Passage des Vorworts von Du Vivier, in der es heißt:
Singulierement au faict de l’instruction des enfants, qu’il vous plaira m’envoyer pour les instruire en toutes bonnes moeurs, & leur enseigner diversité de langages, & l’art d’Arithmetique. (Du Vivier 1568: A3r)
3  Auch Frankfurt am Main gehörte zu den Städten, in die es viele protestantische, insbesondere hugenottische Glaubensflüchtlinge, zog. Lausberg bezeichnet die Stadt als „Knotenpunkt der hugenottischen Emigration“ (Lausberg 2008: 4). Zu diesen Hugenotten gehörten viele Intellektuelle wie Pfarrer, Ärzte oder Literaten, aber auch sehr gute Handwerker oder Manufakturisten (Lausberg 2008: 5). Angesichts des beruflichen Erfolges der Flüchtlinge und ihres daraus resultierenden Wohlstandes entstand jedoch bei den Frankfurter Lutheranern auch Neid, so dass das bereits im 16. Jahrhundert religiös recht tolerante Frankfurt Einschnitte - beispielsweise hinsichtlich des Erwerbs der Bürgerrechte - vornahm.

4   Auch Johannes Rethius war aktiv an der Kontrolle Andersgläubiger beteiligt:
Rethius sah die Gefahr, die dem rheinischen Katholizismus vor allem durch die Zuwanderung zahlreicher Geusen drohte. Die Gewaltmittel, die der damalige Staat gegen Religionsneuerer und Andersgläubige anordnete, billigte er als Kind seiner Zeit durchaus; in der Abwehr stand er zeit­weise in der vordersten Linie. Er leitete die beim Rate unternommenen Schritte, um den Auswei­sungsbefehl gegen die niederländischen Emigranten zu erreichen, er half auch mit, um deren Wohnung und Namen mit Hilfe der Kölner Pfarrer festzustellen. (Kuckhoff 1929: 175).
5 Vgl. zum gesellschaftlichen Ruf der Sprachmeister, denen bisweilen eine laxe Lebensart vorgeworfen wurde, Weißhaar (1998).

6   Ein ungleich detaillierteres Bild vermittelt das folgende Zitat:
In Dillingen waren Totschläger unter Studenten so häufig, daß ihnen das Tragen von Degen verboten werden mußte; in den Marburger Annalen von 1619 wurde lobend her­vorgehoben, es sei dies ganze Jahr ohne Mord vorübergegangen. Von Schwängerungs­fällen, ausgearteten Trinkgelagen, blutigen Händel sind der Protokolle viel; wobei die letzteren teils unter den Studiernden selber, teils zwischen ihnen und den Bürgern stattfanden. Auch die Professoren, die, wie man in unserer Zeit sagt, ein Leitbild hätten abgeben sollen, gaben oft eines, das arge Flecken hatte. Wenn wir also von dem Altdorfer Lehrer der Jurisprudenz Dr. Scipio Gentilis, im Jahre 1598 Rektor der Hoch­schule, lesen, er habe als der Anführer betrunkener Studenten in der Nacht die Stadt durchtobt, harmlose Bürger verprügelt oder mit Säbelhieben verwundet und Tische und Stühle zertrümmert, um dann, wenn er von Amtes wegen gegen die von ihm verführten Sünder vorzugehen hatte, offen einzugestehen, er täte nur gezwungener Maßen, woran er gar nicht glaubte, so wird man dieses Beispiel nicht als Regel, aber auch nicht als schreiende Ausnahme ansehen. Andernfalls wäre der ungeeignete Jurist nicht im Jahre 1613 noch einmal zum Rector Magnificus gewählt worden. (Mann 1971: 28ff, zit. nach Ellwein 1985: 93)